Wir hatten letzte Woche eine sehr schöne Veranstaltung zum Thema "Bodenreform" (es gab teilweise Verwunderung im Arbeitskreis der RLS, dass ich ausgerechnet dieses Thema moderieren wollte). Referenten waren Prof. Siegfried Kuntsche, Herausgeber des Bandes "50 Jahre Agrargenossenschaften", auf den ich mich schon in Chemnitz bezog, er sprach über die Auseinandersetzungen um die Bodenreform, und Hans Watzek. Watzek stellte seinen Vortrag unter die Fragestellung "Braucht Deutschland überhaupt eine Landwirtschaft?". Daraus ergeben sich folgende Stränge:
Der Workshop setzte die Diskussionen um das Thema "Wissen und Bildung in der modernen Gesellschaft" der 5. Rosa-Luxemburg-Konferenz im Juni 2005 [RL-Konf-05] in Chemnitz fort, wobei der Fokus stärker auf die Formen menschlichen Zusammenwirkens ausgerichtet war, die sich aus Lebensumfeldern ergeben, in denen wissens- und kompetenzzentrierte Gestaltungsansprüche einen zunehmend größeren Stellenwert einnehmen.
Die "Vereinbarkeit von Freiheit und Gleichheit" in diesem Zusammenhang bewegt linke Diskussionen schon länger, etwa mit der Preisfrage der Berliner Rosa-Luxemburg-Stiftung 2000 und der Verleihung des Preises an C. Spehr für dessen "Theorie der Freien Kooperation". Diese Debatten wurden von PD Dr. Frieder Otto Wolf (Berlin) noch einmal aufgenommen und insbesondere die Grenzen der freien Kooperation angesprochen. Diese Grenzen sind an zwei Fronten zu beachten.
Einmal sind es Grenzen des Ansatzes als theoretisches Konzept, welche durch die komplizierte Konstitution der kooperierenden Subjekte selbst markiert werden: Aushandlungsfähigkeit als Voraussetzung für das Eingehen freier kooperativer Beziehungen ist ein spezieller Aspekt von Handlungsfähigkeit, die sich erst als Ergebnis des Eingehens freier Kooperation einstellt.
Zum anderen sind es Grenzen der Anwendbarkeit des Ansatzes, die sich daraus ergeben, dass es gesellschaftlich relevante zeitkritische Prozesse gibt, die ein solches Aushandeln nicht gestatten. Marktökonomische Regulationsansätze sind also eine kulturelle Errungenschaft, die auch in einer klassenlosen Gesellschaft nicht überflüssig sein werden. Es gilt jedoch zu verstehen, wie und unter welchen Vorbedingungen diese als Gestaltungsmittel von Politik als der der "Macht der vereinigten Individuen" unterworfenen "Produktion der Verkehrsformen selbst" (MEW 3, S. 70) eingesetzt werden können.
Im zweiten Beitrag stellte Dr. Leonhard Brier (Leipzig) die Freiwilligen-Agentur Leipzig vor. Derartige Agenturen, von denen es über 80 in ganz Deutschland, davon 6 in Sachsen gibt, vermitteln ehrenamtliche Betätigungen, vorwiegend an gemeinnützige Vereine, und sind in diesem Sinne ein praktisches Beispiel freier Kooperation. Interessant war vor allem, die Ähnlichkeiten in der Motivationen zu ehrenamtlicher Betätigung und zur Entwicklung freier Software zu sehen. Auch die "Brötchenfrage" - wie lässt sich ein solches Projekt nachhaltig finanzieren - wurde diskutiert und ließ in ihren Konsequenzen viele Ähnlichkeiten erkennen.
Im dritten Beitrag diskutierte Stefan Matteikat (Schwerin) Analogien zwischen Kooperationsformen im Bereich Freier Software und ostdeutschen Agrargenossenschaften. Ausgangspunkt war der erstaunliche Fakt, dass es diese ostdeutschen Agrargenossenschaften trotz politischer Begehrlichkeiten noch immer gibt und sie sogar recht erfolgreich wirtschaften. Hierfür scheinen subtile Weichenstellungen der letzten DDR-Regierung ausschlaggebend gewesen zu sein, welche die Selbstbestimmungsmöglichkeiten der neuen alten Eigentümer im Bereich der Produktionsstrukturen und Produktionsverfahren stärkten und diese wesentlich nachfolgendem staatlichem Zugriff entzogen haben. In der Diskussion wurde deutlich, dass erst die weitere Zukunft zeigen wird, ob wir es mit längerfristig wirksamen neuen Kooperationsformen zu tun haben oder diese genossenschaftlichen Ansätze ähnlich denen der 70er Jahre in der BRD in markt- und profitorientierte kapitalistische Formen migrieren werden. Ausschlaggebend dafür wird sein, wie weit in diesen Betrieben ökologisch-nachhaltige und regionalwirtschaftliche Aspekte Berücksichtigung finden. (Hans-Gert Gräbe)
Prof. H.-G. Gräbe
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