Wissenschafts- und hochschulpolitische
Grundsätze der PDS. Eine Problemskizze

der AG Wissenschafts- und Hochschulpolitik der PDS

Berlin, Januar 1997

Die AG Wissenschafts- und Hochschulpolitik legt die nachfolgenden Überlegungen zu grundsätzlichen Fragen dieses Politikfeldes zur Diskussion vor. Die Autoren sind sich der Vorläufigkeit und Unvollständigkeit dieser Überlegungen bewußt und bitten darum, durch gründliche Kritik und Ergänzungsvorschläge zu ihrer Vervollkommnung beizutragen. Es ist auch zu berücksichtigen, daß die Aussprache innerhalb der AG nicht bis zu einem vollkommenen Konsens hinsichtlich sämtlicher Positionen und Formulierungen geführt werden konnte; die AG hat jedoch zugestimmt, den Text im gegenwärtigen Stadium der Bearbeitung zur Diskussion zu stellen, in der Hoffnung, daß ein breiterer Austausch von Ideen und Erfahrungen mehr zu seiner Verbesserung beiträgt als die bloße Fortsetzung der Debatte in einem kleinen Kreis.

Die Autoren sehen in ihrer Vorlage vier Gruppen von Defiziten, die sie selbst kurzfristig nicht zu beheben imstande sind und zu deren Überwindung es in besonderem Maße dem Heranziehen von Kritik und Erfahrung außerhalb der AG bedarf:

1. Wichtige Gebiete der Wissenschafts- und Hochschulpolitik sind in der AG zur Zeit nicht durch kompetente Fachleute vertreten. Das betrifft beispielsweise den Bereich der Förderung und Gestaltung angewandter Forschung und (technologischer) Entwicklung in verschiedenen zentralen wirtschaftlichen und außerwirtschaftlichen Innovationsfeldern. Daraus resultieren Lücken, die eine ausreichend komplexe wissenschaftspolitische Positionsbestimmung für die PDS behindern.

2. Obwohl es sich um ein politisches Positionspapier handelt, das unmittelbar auf politisches Werten und Handeln orientieren soll und weder streng aus bestimmten theoretischen Prämissen ableitbar noch eindeutig solchen Prämissen verpflichtet ist, bedarf es der Durchmusterung des modernen wissenschafts- und gesellschaftstheoretischen Ideenarsenals in Hinblick auf nutzbare Anregungen und Problemstellungen. Das war bisher nur in unzureichendem Maße möglich. Die Angehörigen der AG haben ihre theoretische Prägung überwiegend durch den Marxismus erfahren, während andere Denkrichtungen ungenügend vertreten sind. Daher wäre eine Kritik, die von anderen Prämissen als den überwiegend von den Autoren geteilten ausgeht, in besonderem Maße hilfreich.

3. Die Erfahrung der unmittelbaren Wirklichkeit des gegenwärtigen Wissenschaftsbetriebes, die sich allein aus der Teilnehmerperspektive gewinnen läßt, müßte im vorliegenden Positionspapier stärker zur Geltung kommen. Die Angehörigen der AG sind teilweise aus dem Berufsleben verdrängt, so daß ihr Verhältnis zu den alltäglichen Gegebenheiten des Wissenschaftsbetriebes nur noch ein mittelbares ist. Zudem sind wichtige Bereiche der Wissenschaftswirklichkeit, so die außeruniversitäre Forschung, ungenügend repräsentiert. Es wäre wünschenswert, über kritische Anmerkungen Erfahrungen aus einer möglichst großen Zahl unterschiedlicher institutioneller Bereiche der Wissenschaft in das Positionspapier einfließen zu lassen.

4. Die AG ist - wie die PDS insgesamt - "ostlastig" zusammengesetzt. Obwohl die Autoren bestrebt waren, Grundprobleme der Wissenschaftsentwicklung im vereinigten Deutschland in das Zentrum ihrer Überlegungen zu stellen, können sie nicht ausschließen, daß ihre ostdeutsche Perspektive sich in Einseitigkeiten und Verkürzungen der Problemwahrnehmung niedergeschlagen hat. Die wissenschafts- und hochschulpolitische Position der PDS sollte indes eine gesamtdeutsche sein. Für ihre Ausarbeitung ist die Korrektur aller aus einer dominant ostdeutschen Sicht unwillkürlich erwachsenen Mängel lebensnotwendig. Diesbezügliche Kritiken und Ergänzungsvorschläge wären von größtem Wert. Die Autoren sind der Ansicht, daß die skizzierten Defizite in einem Prozeß kritischer Revision überwunden werden können. Zugleich wollen sie mit den genannten vier Richtungen, in denen ihnen Kritik besonders wichtig erscheint, die thematische Spannweite möglicher kritischer Äußerungen in keiner Weise begrenzen.

I. Situation und Aufgaben wissenschaftspolitischer Positionsbestimmung

In der globalen Problemsituation, in der die Menschheit um die Jahrtausendwende steht und die auch die Verhaltensoptionen Europas im besonderen und der Bundesrepublik Deutschland im einzelnen prägt, ist die Wissenschaft ein gesellschaftliches Potential von überlebens- und zukunftsentscheidender Bedeutung. Die Förderung ihrer Entwicklung und die Nutzung ihrer Ergebnisse gehören zu den wichtigsten Mitteln, die moderne Staaten zur Zukunftssicherung einsetzen können. Gemessen an ihrer objektiven Bedeutung, ist der Stellenwert der Wissenschaft in der deutschen Politik generell zu gering - in der Politik des Staates ebenso wie in der Politik der Parteien. Auch in der Politik der PDS hat Wissenschaftspolitik bisher nicht den zentralen Rang, der ihr der Sache nach zukommt. Das betrifft die kritische Stellungnahme zu den wissenschaftspolitischen Positionen der Regierung und denen der anderen Parteien ebenso wie die Vertretung von Wissenschaftlerinteressen, die Entwicklung eigenständiger Positionen zu den mit aktuellen Richtungen des wissenschaftlichen und technischen Fortschritts verbundenen Fragen der gesellschaftlichen Verantwortung des Wissenschaftlers und der öffentlichen demokratischen Kontrolle des Wissenschaftsbetriebes und schließlich die Ausarbeitung eines zukunftsorientierten eigenen Standpunktes zur anstehenden Hochschul- und Wissenschaftsreform. Das vorliegende Papier soll einen Anstoß zur Überwindung dieses Mangels geben. Der hohe Anteil von Wissenschaftlern unter den Mitgliedern und Sympathisanten der PDS bietet günstige Möglichkeiten für den Ausbau der wissenschaftspolitischen Kompetenz der Partei. Die vorwiegend hochschulpolitischen Positionsbestimmungen und Aktivitäten, die die PDS während des letzten Jahrfünfts, vorzugsweise in Verbindung mit der rigorosen Umgestaltung der Wissenschaftslandschaft in Ostdeutschland und ihren sozialen Problemen, in der parlamentarischen Arena entwickelt hat, sollten als Anknüpfungspunkte für die Ausarbeitung einer umfassenden und weiter in die Zukunft orientierten wissenschaftspolitischen Programmatik genutzt werden. Je deutlicher sich die PDS zum Anwalt verantwortungsbewußter Debatten über alternative, mit der modernen Wissenschaft verbundene Zukunftsentwürfe macht, um so mehr werden ihr von wissenschaftlicher Seite originäre Ideen zur Qualifizierung ihrer Wissenschaftspolitik zufließen. Einem lebendigen Dialog zwischen Wissenschaftlern und Parlamentariern kommt für eine treffsichere, problemnahe Gestaltung der Wissenschaftspolitik der PDS große Bedeutung zu.

Die wissenschaftspolitische Situation in der Bundesrepublik Deutschland, zu der die PDS Stellung beziehen und in der sie wirken muß, ist hochgradig problematisch. Dem weltweit anerkannten und respektierten hohen wissenschaftlichen Leistungsstand des Landes steht eine beschleunigte Erosion der Bedingungen gegenüber, auf denen dieses Leistungsvermögen beruht. Dieser Erosionsprozeß impliziert Gefahren eines beträchtlichen Absinkens des deutschen Wissenschaftsstandards; seine bedenklichsten Komponenten sind die mit dem Beitritt der DDR und dem nahezu unveränderten Transfer westdeutscher Institutionalformen und Betriebsweisen der Wissenschaft auf die ostdeutschen Länder eingetretene Blockierung des angestauten Reformbedarfs im wissenschaftlichen Institutionensystem und die konzeptionslose und rigide Weitergabe fiskalischer Sparzwänge an den Wissenschaftsbereich. Er wird dadurch verstärkt, daß aus vordergründig machtpolitischen Motiven ein sehr großer Teil des Wissenschaftspotentials der DDR nicht integriert und zur Steigerung des wissenschaftlichen Leistungsvermögens der Bundesrepublik genutzt, sondern - mit dem Ergebnis der Entstehung zusätzlicher unproduktiver Soziallasten - brachgelegt worden und damit eine außerordentliche strategische Chance der deutschen Vereinigung unwiderruflich vertan worden ist. Auf diesem Weg wird auch einer der wichtigsten wirtschaftlichen Standortvorteile der Bundesrepublik untergraben. Wissenschaftliche Exzellenz als Standortfaktor eröffnet Wege, um den Wirtschaftsstandort nicht auf Kosten anderer Regionen der Welt, sondern als Moment einer für die Weltwirtschaft vorteilhaften globalen Interdependenz zu gestalten. Sie bietet die Chance, ein gesundes Wirtschaftswachstum mit den Regulativen nachhaltiger Entwicklung in Einklang zu bringen und zugleich durch die Eröffnung innovativer Felder wirtschaftlicher Aktivität in Größenordnungen Arbeitsplätze zu schaffen. Die PDS betrachtet es als ein erstrebenswertes Ziel, die Bundesrepublik Deutschland zu einer in prosperierende europäische und globale Austauschbeziehungen eingebetteten wissenschaftlichen Hochleistungsregion auszubauen.

Die mit der Finanzsituation des Staates verbundene gegenwärtige wissenschaftspolitische Zwangslage nötigt alle Parteien, über Reformkonzepte nachzudenken. Die PDS befindet sich hier in einer Konkurrenzsituation und muß diese Herausforderung annehmen. Die Reformideen, zu deren politischer Unterstützung sich die PDS entschließt, können nicht von dem Gedanken einer bloßen Anpassung des Wissenschaftsbetriebes an außerwissenschaftlich motivierte finanzielle Restriktionen ausgehen. Die PDS kann sich nur für solche Reformprojekte einsetzen, die durch qualitative Umgestaltung der institutionellen Mechanismen des Wissenschaftsbetriebes den Rang der Wissenschaft in der Gesellschaft sichern und erhöhen, das wissenschaftliche Leistungsvermögen der Bevölkerung in stärkerem Maße erschließen und nutzen, die wissenschaftliche Arbeit wirksamer auf demokratisch-humanistische, soziale und ökologische Werte verpflichten und den Beitrag der Wissenschaft zur gesellschaftlichen Zukunftsvorsorge entschieden erweitern. Im Rahmen dieser allgemeinen Desiderate sind unterschiedliche konkrete Lösungen möglich, deren Ausarbeitung ein Höchstmaß an Kreativität und interdisziplinärer Kooperation erfordert. Die Bestimmung wissenschafts- und hochschulpolitischer Grundsätze der PDS soll die Arbeit an progressiven Reformkonzepten für das Institutionalsystem der Wissenschaft in der Bundesrepublik Deutschland befördern.

Die PDS bestimmt ihr Verhältnis zur Wissenschaft ausgehend von der gegenwärtigen Problemsituation der Gesellschaft und dem Beitrag, der von der Wissenschaft zur progressiven Bewältigung dieser Problemsituation zu erwarten ist. Ihre Wissenschaftspolitik ist darauf gerichtet, die Bedingungen dafür schaffen und sichern zu helfen, daß die Wissenschaft in wachsendem Maße für die Gestaltung einer menschenwürdigen Gegenwart und Zukunft der Gesellschaft im ganzen und jedes einzelnen ihrer Mitglieder wirksam wird und antihumane Fehlentwicklungen und Mißbräuche durch demokratische Kontrolle zuverlässig verhindert werden. Sie wendet sich gegen Tendenzen der Unterschätzung des gesellschaftlichen Wertes der Wissenschaft, die sich aktuell in Vorstößen zur Verschlechterung ihrer Entwicklungsbedingungen äußern.

Als eine demokratische Partei der Bundesrepublik Deutschland, die auf dem Boden des Grundgesetzes steht, bekennt sich die PDS zu der grundgesetzlichen Festlegung: "Kunst und Wissenschaft, Forschung und Lehre sind frei" (Art.5, Abs.3 GG). Ihre Kritik gilt der mangelhaften Verwirklichung dieses Verfassungsauftrages, ihr positives Bemühen seiner umfassenderen Umsetzung - eingedenk dessen, daß Freiheit der Wissenschaft nicht Verantwortungslosigkeit, sondern Wahrnehmung gesellschaftlicher Verantwortung auf dem Gebiet der wissenschaftlichen Arbeit und der Gestaltung ihrer Bedingungen bedeutet und nicht allein verfassungsrechtlicher, sondern auch institutioneller und finanzieller Garantien bedarf. In diesem Sinne tritt die PDS auch für die Interessen der in wissenschaftlichen Berufen Tätigen ein, in Freiheit und sozialer Sicherheit arbeiten und mit ausreichenden Ressourcen ihren Beitrag zum Wohl der menschlichen Gemeinschaft leisten zu können.

II. Wissenschaft als Entwicklungspotential der Gesellschaft

1. Die gegenwärtige gesellschaftliche Krise und die Wissenschaft

Die gegenwärtige Situation der Gesellschaft stellt sich als ein Bündel gravierender Krisenerscheinungen (ökologische Krise, Krise der Arbeitsgesellschaft, Zunahme der Polarisierung von Arm und Reich sowohl innerhalb der Staaten und Staatengruppen als auch zwischen ihnen, Sinn- und Wertekrise usw.) dar, das tendenziell anwächst und zu einem Risiko für den Fortbestand der Menschheit werden kann, wenn kein progressiver Ausweg gefunden und beschritten wird. Vieles spricht dafür, daß die Überwindung dieser komplexen Krise nur durch eine grundlegende Umgestaltung aller Seiten der Gesellschaft und der wesentlichen Bedingungen des Menschseins möglich sein wird - eine Umgestaltung, die an Fundamentalität mindestens mit dem Übergang von vorindustriellen Lebensformen zur kapitalistischen Industriegesellschaft vergleichbar ist. So wie sich frühere Gesellschaften um die agrarische bzw. die industrielle Produktion organisiert haben, scheint sich die entstehende neue Stufe der Gesellschaft um die Erzeugung, Verarbeitung, Distribution und Verwertung von Information (Wissen) zu organisieren. Realistische Gesellschaftsstrategien müssen sich auf die Analyse der Optionen gründen, die dieser Übergang enthält.

Die bisherigen Ansätze, die komplexe Menschheitskrise zu analysieren und Strategien ihrer Bewältigung zu finden und praktisch umzusetzen, greifen zu kurz (der Zusammenbruch des "Realsozialismus" ist dafür ein dramatischer Beleg), obwohl sie zur Selbstreflexion der modernen Gesellschaft Unverzichtbares beigetragen haben. Das pragmatische Lavieren, mit dem die Staaten bisher auf die epochalen Problemlagen reagieren, kommt einem gesellschaftlichen Offenbarungseid gleich. Es ist auch ein Symptom dafür, daß das Selbstverständnis der Gesellschaft auf beunruhigende Weise hinter dem durch menschliches Handeln und dessen praktische Folgen hervorgerufenen Erkenntnisbedarf zurückgeblieben ist. So ist der Einfluß der rasanten Globalisierungsprozesse, die die Souveränität der Staaten und selbst der Staatenverbände aushöhlen, auf künftige gesellschaftliche Entwicklungen und die Möglichkeiten ihrer humanen Gestaltung bisher weitgehend unklar.

Das offene Eingeständnis dessen, daß die gegenwärtige Gesellschaft sich selbst zu wenig kennt, um die entscheidenden Probleme ihrer Zukunftsbewältigung rational formulieren und effektiv lösen zu können, ist indes kein Grund zur Resignation. Es sollte vielmehr dazu führen, daß die Gesellschaft ihre Fähigkeit zur Selbstanalyse beschleunigt ausdehnt und vertieft. Darin liegt eine einzigartige Herausforderung an die Wissenschaft, die über das kognitive Fazit der Menschheitsgeschichte verfügt und dazu berufen ist, die vielfältigen Formen des sozialen Erfahrungsgewinns zu instruieren und zu theoretischem Wissen zu verdichten, das auf der Höhe der Zeit steht. Kapazitäten eines modernen sozialen Monitoring befinden sich, wenn auch häufig erst keimhaft ausgeprägt, nicht nur innerhalb des wissenschaftlichen Institutionensystems, sondern auch in den verschiedensten demokratischen Zusammenschlüssen - Verbänden, Vereinen, Bürgerinitiativen usw. - die Ansichten zu gesellschaftlichen Entwicklungsproblemen artikulieren. Es erscheint geboten, diese Entwicklungen auf jede nur denkbare Weise zu fördern, mit dem wissenschaftlichen Erkenntnisfortschritt zu verbinden und das aus der Beschäftigung mit den existentiellen Problemlagen der gegenwärtigen Gesellschaft gewonnene Wissen öffentlich verfügbar zu halten. Dies ist auch eine unabdingbare Voraussetzung für fundierte Politikangebote; "Visionen" und "charismatische Persönlichkeiten" können das ungeachtet ihrer Wichtigkeit nicht ersetzen.

Der Reflexionsbedarf der heutigen Gesellschaft betrifft nicht nur die Ebene des instrumentalen Wissens, das zweckmäßiges Handeln konzipiert, sondern auch und grundlegender die Ebene des Orientierungswissens, die Sinn- und Wertsphäre des menschlichen Daseins, in der die Motive und Ziele des Handelns selbst generiert werden. Die Anzeichen dafür, daß tiefgreifende Veränderungen in den tradierten Wertorientierungen des menschlichen Handelns überlebensnotwendig geworden sind, mehren sich und kulminieren in einem globalen Krisenbewußtsein. Bei der Konstitution dieser Sphäre interagiert Wissenschaft - vor allem, aber keineswegs nur über ihren geisteswissenschaftlichen Teilbereich - mit anderen sinnstiftenden Schichten des geistigen Lebens wie Kunst, Religion und Moral. Durch großzügigen Ausbau der reflexiven Komponente der Wissenschaft, darunter auch eine verstärkte Pflege der Geisteswissenschaften mit ihrer Vielfalt von Strömungen und Schulen, sollte die Fähigkeit der Wissenschaft und die Motivation der Wissenschaftler zur konstruktiven Teilnahme am öffentlichen Wertediskurs nachdrücklich entwickelt werden. Statt dessen sind in der Wissenschaftspolitik Tendenzen wahrnehmbar, die öffentliche Förderung auf Kosten der Geisteswissenschaften einseitig auf die praktikable, unmittelbar auf wirtschaftliche Effizienz gerichtete Komponente der Wissenschaft zu konzentrieren. Diese Tendenzen laufen auf eine Verarmung des humanen Potentials der Wissenschaft hinaus. Es ist daher notwendig, der Wissenschaftspolitik ein Verständnis von Wissenschaft zugrundezulegen, das diese nicht allein als ein nützliches Instrumentarium zur Realisierung vorgegebener Zwecke auffaßt, sondern darüber hinaus als eine Form, in der sich die Gesellschaft ihrer selbst, ihrer Daseinsbedingungen und ihrer Ziele kritisch bewußt wird. Dort, wo es um die Orientierung in einer ungenügend durchschauten Risikosituation geht, deren Begreifen an die Grenzen der Möglichkeiten heutiger Wissenschaft reicht, ist es unumgänglich, eine Vielzahl unterschiedlicher Hypothesen und Lösungsansätze ohne Rücksicht auf Einsparungswünsche und vordergründige Nützlichkeitserwägungen zu verfolgen und zu prüfen.

2. Vorrangige soziale Anforderungen an die Wissenschaft

Auf der Ebene der Erarbeitung konkreter Problemlösungen und Handlungsgrundlagen, auf der es möglich ist, Resultate mit bestimmten Applikationseigenschaften in überschaubaren Zeitabschnitten zu erreichen, sollten mit öffentlichen Mitteln solche Richtungen prioritär gefördert werden, an denen das Gemeinwesen dringlich interessiert ist und für die das Funktionieren der Märkte von sich aus keine hinreichende Nachfrage schafft. Zugleich müssen alle Möglichkeiten der öffentlichen Hand genutzt werden, um durch die Gestaltung der Rahmenbedingungen für die Märkte die Nachfrage nach solchen Leistungen der Wissenschaft zu stimulieren. Es erscheint vordringlich, die Leistungsfähigkeit der Wissenschaft für die Praxis in mindestens den folgenden drei Richtungen (über die Bestimmung weiterer gleichrangiger Vorzugsrichtungen muß nachgedacht werden) zu entwickeln und die Bedingungen zur Verwertung ihrer Resultate zu verbessern:
1. Leistungen für die nachhaltige Stabilisierung und Regulierung der Wechselbeziehungen von Gesellschaft und Umwelt

Die Notwendigkeit, den Fortgang der ökologischen Krise zu stoppen und die vielfältig eingetretenen Beeinträchtigungen der natürlichen Lebensbedingungen des Menschen rückgängig zu machen oder zu kompensieren, setzt einen grundlegenden Umbau der Wirtschafts- und Lebensweise voraus. Die bisher erzielten Verbesserungen sind partieller Natur; ihnen stehen global ungebändigte destruktive Tendenzen entgegen, so daß insgesamt die ökologische Krise noch immer fortschreitet. Um die Praxis einer gründlichen Wende auf diesem Gebiet kompetent zu instruieren, ist komplexes Wissen erforderlich, das aus der Wechselwirkung zahlreicher Disziplinen hervorgeht. Ein besonders dringender Bedarf besteht an praktikablem Wissen darüber, wie unter den Verhältnissen des gegenwärtigen Kapitalismus das Verhalten der individuellen und korporativen Akteure nachhaltig ökologisch orientiert werden kann; so ist beispielsweise eine tragfähige wissenschaftliche Lösung der Frage erforderlich, ob, inwieweit und wie das angestrebte Ziel durch einen ökologischen Umbau des Steuersystems erreichbar ist. Insgesamt müssen dazu die Anreize für die Wissenschaft, die Barrieren des Spezialistentums zu überwinden und sich komplexen Problemen zu widmen, wesentlich verstärkt und die institutionellen Voraussetzungen dafür deutlich verbessert werden.

2. Leistungen für die Zurückdrängung der Arbeitslosigkeit und die Gestaltung einer gerechteren Wirtschafts- und Sozialordnung

Die zunehmende Verdrängung arbeitsfähiger Menschen aus dem Arbeitsprozeß, die die Wurzel der schwerwiegendsten sozialen Nöte im heutigen Kapitalismus darstellt und gegen die die herrschende Politik bisher kein wirksames Mittel gefunden hat, beruht darauf, daß die Freisetzung von Arbeitskräften durch Rationalisierungseffekte deren Neubindung durch innovative Schöpfung neuer Arbeitsarten und Beschäftigungssphären bei weitem übersteigt. Dieses Problem betrifft zentral die Wissenschaft, weil beide Arten von Effekten wesentlich auf der praktischen Umsetzung wissenschaftlich-technischer Ergebnisse beruhen, und die Wissenschaftspolitik, weil es darum geht, wie ein bedeutend größerer Teil des wissenschaftlichen Leistungsvermögens auf die Erzeugung arbeitsschaffender Innovationen verlagert werden kann, um einerseits ganz neue Tätigkeitsfelder zu eröffnen und andererseits bereits vorhandene, bisher durch Umverteilung über Steuern finanzierte oder gratis geleistete Tätigkeitsarten (kommunale und soziale Dienste, Naturschutz usw.) wirtschaftlich rentabel zu machen. Die wirtschaftliche Verfassung des gegenwärtigen Kapitalismus privilegiert die Einsparung von Arbeit; zu klären ist, ob und mit welchen Mitteln die öffentliche Hand in die Lage versetzt werden kann, diese Tendenz zu kompensieren. Die Frage, wie eine gesamtwirtschaftliche Dominanz arbeitsschaffender Innovationen und eine gerechte Verteilung der wirtschaftlich nachgefragten Arbeit auf die gesamte arbeitsfähige Bevölkerung zu erreichen ist, gehört zu den komplexen Problemen der modernen Wissenschaft von höchster sozialer Relevanz. Ihre soziale Bedeutung ist jener der ökologischen Problematik vergleichbar, und sie fordert nicht weniger Interdisziplinarität als diese; bisher wird sie aber weitaus weniger als ein wissenschaftliches Komplexproblem wahrgenommen und eher praktizistisch behandelt. Erforderlich ist eine abgestimmte Wissenschafts- und Wirtschaftspolitik, die hinreichende wissenschaftliche Kapazitäten auf dieses Komplexproblem konzentriert und ein günstiges Klima für die Aufnahme und praktische Umsetzung der daraus hervorgehenden Empfehlungen schafft.

3. Leistungen für die Erweiterung der Möglichkeiten demokratischer Partizipation und Mitbestimmung

Die Entwicklung der modernen Informations- und Kommunikationstechniken, die ein integrales Ergebnis der Wissenschaft und Technik dieses Jahrhunderts darstellen und deren schnelle Vervollkommnung enorme wissenschaftliche, technische und wirtschaftliche Potentiale bindet, erscheint zunehmend deutlicher als technische Magistrale in der Umgestaltung der gesellschaftlichen Produktions- und Reproduktionsweise. Ihre soziale Bedeutung ist wie die jeder wesentlichen technischen Entwicklung ambivalent; sie bergen sowohl Gefahren als auch Chancen, deren Ausmaß noch kaum abzusehen ist. Bereits jetzt sind diese Techniken mit großer Geschwindigkeit und hoher Intensität dabei, viele Bereiche der menschlichen Lebenstätigkeit von innen her zu verändern, und man kann davon ausgehen, daß der Höhepunkt in der Dramatik dieser Umwälzung noch lange nicht erreicht ist. Nach der Schaffung der technischen Infrastruktur steht zunehmend die Umstellung der Informationsbasis der Gesellschaft auf diese neue Struktur im Vordergrund. Ein solcher globaler, interaktiv funktionierender Informationsraum eröffnet beispiellose Möglichkeiten der Einsicht in gesellschaftliche Zusammenhänge auf allen Stufen von der regionalen bis zur globalen Ebene, der Partizipation an ihrer Gestaltung und des flexiblen Zusammenwirkens von Menschen und Menschengruppen jenseits herkömmlicher staatlicher, wirtschaftlicher u.a. Hierarchien, aber er enthält auch Möglichkeiten subtiler, für das Individuum kaum ohne weiteres durchschaubarer Desorientierung und Manipulation. Daher sollten große wissenschaftliche Anstrengungen nicht nur der ständigen Weiterentwicklung dieser Techniken selbst, sondern auch der komplexeren Problematik des verantwortlichen Umgangs mit ihnen gewidmet werden. Es ist eine aktuelle Aufgabe von großer Bedeutung, diese neuartigen Ressourcen der Demokratie mit allen Mitteln der modernen Wissenschaft zunehmend zu erschließen und zu nutzen und ihre macht- und profitorientierten manipulativen Verkehrungen abzuwehren. Besorgnis rufen die sich mit wachsender Kommerzialisierung des geistigen Lebens verstärkenden Versuche hervor, den Zugang zu dieser Informationsbasis finanziell und mit anderen Mitteln zu erschweren und zu behindern. Die Existenz und fortschreitende Ausweitung eines öffentlichen, frei zugänglichen und verwertbaren Informations- und Wissenspools, dessen die Wissenschaft schon immer bedurfte, wird zunehmend auch für das Gemeinwesen im ganzen unentbehrlich. Dieser öffentliche Informationspool muß alle wesentlichen Bereiche sozial relevanter Kenntnisse umfassen und zumindest über öffentliche Einrichtungen (Schulen, Bibliotheken usw.) allen Bürgern kostenfrei oder kostengünstig zugänglich sein. Seine ständige Ergänzung auf dem jeweils neuesten Stand des Wissens muß durch das Gemeinwesen gewährleistet werden; jede Beschränkung seiner laufenden Erneuerung durch finanzielle Restriktionen ist für das Gemeinwesen von Nachteil.

3. Wissenschaftspolitische Leitgedanken

Wissenschaft ist die kompakteste, Entwicklungshorizonte und Entwicklungsrisiken erkundende Form gesellschaftlicher Zukunftsvorsorge. Als solche gehört sie zu den unverzichtbaren Aufgabengebieten des Gemeinwesens. Auf diesem Gebiet sollten leichtfertige Privatisierungen vermieden werden, ohne die Heranziehung privaten Kapitals für Aufgaben öffentlicher Wissenschaftspflege in allen Fällen abzulehnen. Der Einsatz von Privatkapital kann hier jedoch nur subsidiär sein; der Kernbereich der wissenschaftlichen Institutionen sollte - auch in Übereinstimmung mit der deutschen Wissenschaftstradition - öffentlich finanziert und öffentlich verwaltet werden.

Wenn man akzeptiert, daß in der Epoche des Übergangs zur wissensbasierten Gesellschaft (Informationsgesellschaft) die Bedeutung der Wissenschaft für das Gemeinwesen weiter zunimmt, dann muß man auch die Notwendigkeit anerkennen, daß die Umverteilung des gesellschaftlichen Arbeitsvermögens zugunsten der Wissenschaft fortgesetzt wird, die Wissenschaftsaufwendungen der öffentlichen Hand also absolut und relativ zunehmen. Im weiteren Ausbau und in der fortgesetzten Modernisierung der zivilgesellschaftlichen Infrastruktur, zu der auch das Netz der wissenschaftlichen und wissenschaftlich-technischen Institutionen gehört, besteht eine Grundbedingung für die nachhaltige Lösung der wirtschaftlichen Standortprobleme. Mittelkürzungen, erst recht pauschale, sind hier kontraindiziert. Sparen an der Wissenschaft ist ähnlich zukunftsgefährdend wie Sparen an Umweltschutz und ökologischer Umweltgestaltung.

Freier Zugang zur Wissenschaft - sowohl zum Studium als auch zu den weiterführenden wissenschaftlichen Laufbahnen - gehört zur grundgesetzlich garantierten Freiheit der Wissenschaft. Er darf nicht durch finanzielle Hürden erschwert werden, die begüterte Bevölkerungsschichten bevorzugen und zu einer Zwei-Klassen-Wissenschaft führen. Die unverkürzte Wahrnehmung dieses Zugangsrechts liegt nicht nur im Interesse der nach wissenschaftlicher Bildung und wissenschaftlicher Tätigkeit strebenden Individuen, sondern auch im Interesse des Gemeinwesens, denn die Leistungsfähigkeit der Wissenschaft hängt von Grad der Erschließung aller Talenteressourcen der Bevölkerung ab. Mit der für das Erreichen wissenschaftlicher Erstklassigkeit wesentlichen Elitenbildung muß die Freiheit des Zugangs durch eine weitgehende Bindung des Karriereaufstiegs an erwiesene wissenschaftliche Leistungsfähigkeit und durch einen intensiven, qualitätsfördernden Wettbewerb um Aufstiegschancen verbunden werden. In einer demokratischen Gesellschaft ist es unumgänglich, jegliche Beeinträchtigung der Chancengleichheit - nach der sozialen Herkunft, dem Geschlecht, der ethnischen Zugehörigkeit, der politischen Position, der weltanschaulichen Bindung oder anderen Motiven - entschieden zu bekämpfen und alle Strukturen zu überwinden, die solche Diskriminierungen konservieren. Von zentraler Bedeutung ist dabei die volle Verwirklichung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern in Forschung, Lehre und Studium, von der die Wissenschaftsrealität in Deutschland noch immer weit entfernt ist. Während die Zusammensetzung der Studentenschaft inzwischen ungefähr der Geschlechterverteilung in der Bevölkerung entspricht, reproduzieren die Karrieremechanismen innerhalb des Wissenschaftsbetriebes im wesentlichen nach wie vor die herkömmliche patriarchalische Prägung des wissenschaftlichen Personals, und zwar in einem mit der Laufbahnhöhe zunehmendem Maße, so daß im Bereich der wissenschaftlichen Spitzenpositionen Frauen noch immer Ausnahmeerscheinungen sind. Besondere Maßnahmen der Frauenförderung in der Wissenschaft sind unerläßlich, aber sie sind unzulänglich, wenn sie nur eine Ergänzung zu einem nach wie vor patriarchalisch dominierten Mechanismus der Personalreproduktion darstellen. Der Sinn solcher Maßnahmen sollte vielmehr darin bestehen, daß sie einen nachhaltigen Umbau dieses Mechanismus in die Wege leiten, der das patriarchalische Prinzip dauerhaft außer Kraft setzt.

Es ist dringend erforderlich, auch in der Sphäre der wissenschaftlichen Arbeit durch ein hinreichendes Angebot von Arbeitsplätzen soziale Sicherheit herzustellen und die Geißel der Wissenschaftlerarbeitslosigkeit zu beseitigen. Die Nichtausnutzung wissenschaftlicher Qualifikation, in deren Aufbau umfangreiche öffentliche Mittel investiert worden sind, ist nicht nur entwürdigend für die Betroffenen, sondern schädigt auch die Wissenschaft und bedeutet eine sinnlose Verschleuderung gesellschaftlichen Reichtums. Das betrifft in besonderem Maße die ostdeutschen Länder, in denen infolge der Umgestaltung des dortigen Wissenschaftssystems nach westdeutschem Muster große Kontingente qualifizierter Wissenschaftler "freigesetzt" worden sind, stellt aber auch für die alten Bundesländer mit fortschreitendem Stellenabbau ein zunehmend gravierendes Problem dar. In der Wissenschaft ist es so gut wie unmöglich, ohne Qualitätseinbußen Arbeitskraft "wegzurationalisieren"; Stellenabbau führt zwangsläufig zu einer Einschränkung des wissenschaftlichen Leistungsspektrums, zum Nachlassen der für die Entwicklung kreativer Wissenschaftlerpersönlichkeiten unentbehrlichen individuellen Betreuung von Studenten und Nachwuchswissenschaftlern, zur psychischen und physischen ïberforderung des verbleibenden wissenschaftlichen Personals. Die Wissenschaftsfreundlichkeit der bestehenden Ordnung ist nicht zuletzt an den Möglichkeiten zu messen, die sie für den Einsatz des vorhandenen und verfügbaren wissenschaftlichen Arbeitsvermögens eröffnet. Für die Herstellung von Beschäftigungssicherheit im Bereich der Wissenschaft ist eine Reform des Systems der wissenschaftlichen Berufe und Laufbahnen erforderlich. Die Zweiteilung der Wissenschaftlerpopulation in privilegierte Inhaber von Lebenszeitstellen und unterprivilegierte Inhaber befristeter Arbeitsverhältnisse ist generell problematisch; sie ist nicht tolerierbar, wenn - wie es gegenwärtig der Fall ist - für einen zunehmenden Teil der Wissenschaftler befristete Arbeitsverträge bzw. Projektstellen nicht ein relativ kurzes Durchgangsstadium am Anfang der Karriere sind, sondern das ganze Berufsleben eine Kombination von prekären Zeitverträgen und Perioden der Arbeitslosigkeit darstellt. Die Reform der wissenschaftlichen Professionen müßte die Möglichkeit eröffnen, Wissenschaft in der Einheit von Wissensproduktion, Wissenssystematisierung und Wissensvermittlung als Beruf zu betreiben, und dazu ein weiterverzweigtes Karrieresystem schaffen, das durch ein hinreichendes Angebot von Dauerarbeitsplätzen unterschiedlichen Profils (neben dem herkömmlichen Profil des Professors) im Forschungs-, Aus- und Weiterbildungsbereich einen solchen Beruf auch sozial attraktiv macht. Dabei sollen die Mechanismen der wissenschaftlichen Elitenbildung durch den Leistungswettbewerb um den Aufstieg in höhere Statusgruppen nicht außer Kraft gesetzt werden; es erscheint jedoch notwendig, diesen Wettbewerb so zu gestalten, daß er zwar um den Zugang zu verschiedenen Arten von Ressourcen, nicht aber um das elementare Gut der Arbeitsplatzsicherheit geführt wird.

Um eine stetige Leistungsentwicklung der Wissenschaft in der Bundesrepublik Deutschland zu gewährleisten und Niveauverluste, wie sie als Konsequenz einer pauschalen Sparpolitik drohen, zuverlässig zu verhindern, muß die Finanzierungsgrundlage des Wissenschaftssystems verbessert und gegen unvorhergesehene Schwankungen der Haushaltslage immunisiert werden. Schnellstmöglich sollte ein neues komplexes Finanzierungssystem für die Wissenschaft erarbeitet werden, das nicht nur auf der Politik- und Verwaltungsebene konzipiert wird, sondern selbst auf wissenschaftlichen Grundlagen beruht. Leitidee eines solchen Konzepts sollte es sein, Wissenschaft nicht einseitig als bloßen Kostenfaktor zu betrachten, der die Mittel des Gemeinwesens verzehrt, sondern die direkten und indirekten Positiveffekte, die von einem hohen Leistungsniveau der Wissenschaft ausgehen, zu bilanzieren und alle Bereiche der Gesellschaft, die von solchen Effekten Nutzen ziehen, angemessen an der Gesamtfinanzierung der Wissenschaft zu beteiligen. Dann wird insbesondere auch eine Personalpolitik in der Wissenschaft möglich werden, die nicht mehr vom Rotstift, sondern von Erwägungen wissenschaftlicher Leistungsentwicklung regiert wird.

Wissenschaft ist ein kooperatives Unternehmen, dessen Erfolg wesentlich von der zuverlässigen und vertrauensvollen Zusammenarbeit vieler Menschen abhängt. Alle Teilnehmer des Wissenschaftsprozesses sollten an seiner Gestaltung und an der Verfügung über seine Ressourcen demokratisch partizipieren, wobei das Maß des individuellen Zugangs zu Ressourcen durch den innerwissenschaftlichen Leistungswettbewerb reguliert und die sachgerechte, verzerrungsfreie Führung dieses Wettbewerbs durch eine in den wissenschaftlichen Alltag integrierte und wissenschaftsadäquat gestaltete Evaluationspraxis unterstützt werden sollte. Autorität in der Wissenschaft kann nur auf der Achtung beruhen, die herausragenden Persönlichkeiten aufgrund von Leistung und Charakter freiwillig entgegengebracht wird, nicht auf formaler Dienststellung, damit verbundenem privilegierten Zugang zu Ressourcen und arbeitsrechtlichen Abhängigkeiten. Pflege und Ausbau lebendiger Demokratie an den wissenschaftlichen Einrichtungen ist ein ständiges Anliegen moderner Wissenschaftspolitik.

Es ist unbestreitbar, daß die Organisation der wissenschaftlichen Arbeit flexibler, stärker auf die Bewältigung komplexer Aufgaben ausgerichtet und in diesem Sinne rationeller werden muß und daß dafür die modernen Informations- und Kommunikationstechniken und die mit diesen verbundenen Möglichkeiten erleichterter Kooperation und Arbeitsteilung im europäischen wie im globalen Maßstab gute Voraussetzungen bieten. Die institutionellen Verhältnisse der Wissenschaft und deren rechtlicher Rahmen dürfen nicht ein für allemal festgeschrieben werden, sondern müssen beweglich und in Abhängigkeit von den Bedürfnissen der Wissenschaft veränderbar bleiben. Abzulehnen sind jedoch Tendenzen, höhere organisatorische Rationalität in der Sphäre der Wissenschaft durch finanzielle Restriktionen und den Druck sozialer Unsicherheit erzwingen zu wollen. Vielmehr sollte die institutionelle Vervollkommnung des Wissenschaftsbetriebes durch eine hohe Kultur der Wissenschaftsreflexion und deren prominenten Platz in den Diskursen innerhalb der wissenschaftlichen Gemeinschaft und zwischen dieser und der Ùffentlichkeit befördert werden. Für die Entwicklung dieser Reflexionskultur ist die institutionalisierte Selbstanalyse der Wissenschaft mit ihren eigenen Mitteln durch den Aufbau leistungsfähiger Kapazitäten interdisziplinärer Wissenschaftsforschung wesentlich; die anstehenden Reformen des Wissenschaftsbereiches könnten damit über bloße Suche nach einem Interessenkompromiß der involvierten Akteure mit den üblichen politischen Mitteln hinaus eine solide wissenschaftliche Grundlage erhalten.

Als eine Angelegenheit des Gemeinwesens von hohem Rang sollte die Wissenschaft gebührende öffentliche Aufmerksamkeit erfahren und unter demokratischer Kontrolle stehen. Dies ist notwendig, um bei den innerwissenschaftlichen Entscheidungen über Ziele und Prioritäten Erwartungen der Öffentlichkeit an praxiswirksame Leistungen der Wissenschaft geltend zu machen und auf Entscheidungen über die Umsetzung wissenschaftlicher Resultate in die Praxis Einfluß zu nehmen. In wachsendem Maße kommt die Notwendigkeit hinzu, die mit bestimmten Prozessen der Erkenntnisgewinnung selbst verbundenen Risiken der Überschreitung moralischer Grenzen oder des Eintretens unbeabsichtigter schädlicher Nebenwirkungen frühzeitig zu erkennen und geeignete Wege der Konfliktlösung und Risikominimierung zu finden. Hier muß in Betracht gezogen werden, daß die demokratische Kontrolle des Wissenschaftsbetriebes eine ebenso subtile wie wichtige Angelegenheit ist, die eines Höchstmaßes an Sachkenntnis und Takt bedarf und zu einem guten Teil als Selbstkontrolle der als verantwortliche Mitglieder des Gemeinwesens handelnden Wissenschaftler verwirklicht werden muß, wenn sie nicht Gefahr laufen will, zu einem unberufenen Hineinreden in ein unbegriffenes Metier zu mißraten. Dabei können Wissenschaftler viel dazu beitragen, den ständigen Dialog zwischen Wissenschaft und Öffentlichkeit als ein Medium der Demokratie zu beleben und zu qualifizieren, indem sie selbst den Meinungsaustausch über ethische Probleme und generell über die vielschichtige soziale Verantwortung der modernen Wissenschaft pflegen. Die Massenmedien sollten diesem Diskurs gebührenden Raum geben, und von den Politikern ist zu erwarten, daß sich ihre wissenschaftspolitischen Äußerungen nach Sachkenntnis und Problembewußtsein auf dem aktuellen Niveau dieses Diskurses befinden. Zugleich ist es auch erforderlich, zu allen Richtungen wissenschaftlicher Arbeit, die das menschliche Leben wesentlich tangieren, in gebührender Größenordnung sozial- und geisteswissenschaftliche Begleitforschung durchzuführen, die die in diesen Arbeiten liegenden Risiken und Chancen frühzeitig signalisiert und erwägt.

Die in diesem Abschnitt entwickelten wissenschaftspolitischen Überlegungen beziehen sich auf den Gesamtbereich wissenschaftlicher Aktivitäten, ungeachtet seiner tiefgehenden Differenzierung. Die Möglichkeit, solche übergreifenden Gesichtspunkte zu formulieren, verdeutlicht zugleich, daß die Wissenschaft auch als ein extrem arbeitsteiliges Unternehmen Ganzheitszüge bewahrt und so auch von der Politik als ein Ganzes behandelt werden muß. Natürlich haben die institutionalisierten Teilbereiche der Wissenschaft darüber hinaus ihre spezifischen, gesondert darzustellenden Gestaltungsprobleme. Die nachfolgenden Abschnitte III (forschungspolitische Grundsätze) und IV (hochschulpolitische Grundsätze) gehen auf die Spezifika dieser beiden wissenschaftspolitisch besonders wichtigen Teilbereiche ein, wiederholen jedoch in der Regel nicht die sowohl für die Forschung als auch für das Hochschulwesen gleichermaßen gültigen generellen Leitgedanken, sondern setzen sie voraus.

III. Forschungspolitische Grundsätze

Die Gesellschaft ist heute für ihre Existenz und ihre Entwicklung auf den permanenten Zustrom neuer Forschungsergebnisse angewiesen. Die internationale Stellung eines Landes, sein Vermögen, an der Lösung der globalen Probleme der Weltgemeinschaft teilzunehmen, hängt wesentlich von dem Forschungsbeitrag ab, den er für die Weltwissenschaft leistet. Mit den Mitteln wissenschaftlicher Forschung erweitert die Gesellschaft ihren Erkenntnishorizont, diagnostiziert und analysiert Krisensituationen ihrer Entwicklung, findet Auswege aus ihren Krisen und schafft neue Potentiale ihrer Evolution. Für die Individuen, die daran teilnehmen, bietet Forschung ein Medium schöpferischer Selbstverwirklichung. Angesichts der Komplexität der Krisenlagen, vor denen die heutige Gesellschaft steht, und der zunehmenden Forschungsabhängigkeit der Praxis sind nicht weniger, sondern mehr Forschungsanstrengungen erforderlich. Dabei ist es dringend geboten, daß das private Kapital über die gezielte Finanzierung angewandter Forschungen, an deren Ergebnissen es unmittelbar interessiert ist, hinaus in weitaus stärkerem Maße an der Sicherstellung der allgemeinen, nicht zweckgebundenen Finanzierungsbasis der Forschung teilnimmt. Dies legitimiert jedoch in keiner Weise einen Rückzug des Staates aus der Forschungsförderung. Vielmehr muß die materielle Sicherstellung von Forschung im Aufgabenspektrum des Staates einen wachsenden Stellenwert erhalten, zumal die Leistungsfähigkeit der Forschung eine entscheidende Voraussetzung für die effektive Erfüllung aller sozialstaatlichen Aufgaben ist und Forschungsabbau und Sozialstaatsabbau langfristig korreliert sind.

Als Generator möglicher künftiger Praxen ist Forschung grundsätzlich zukunftsorientiert und kritisch, da sie von der Problematisierung gegenwärtiger Zustände ausgeht. Sie muß daher in ihrer Kernzone den Horizont gegenwärtig bestimmbarer Bedürfnisse und erst recht den Horizont zahlungskräftiger Marktnachfrage überschreiten. Darin besteht der soziale Sinn der Forschungsfreiheit, des Rechtes der Forscher, in freier Selbstbestimmung, aber auch in Verantwortung vor der Gesellschaft ihre Themen wählen und bearbeiten zu können. Es ist Aufgabe des Gemeinwesens, im Interesse seiner eigenen Zukunftsvorsorge einen hinreichend großen Bereich freier Forschung durch öffentliche Finanzierung materiell zu sichern. Zugleich soll staatliche Forschungspolitik aber auch darauf hinwirken, daß alle real möglichen Beiträge der Wissenschaft zur Lösung sozial wichtiger Gegenwartsaufgaben auch erbracht und genutzt werden. Sie kann sich nicht darauf beschränken, die Sphäre der Forschung materiell auszustatten, sondern soll auch an ihrer sozialen Orientierung teilnehmen. Es versteht sich, daß eine solche Orientierung nicht durch politische Einmischung in den Forschungsbetrieb, sondern durch Akzent- und Prioritätensetzung bei der Gestaltung der Rahmenbedingungen an die Forschung zu vermitteln ist. Die vitalen Interessen des Gemeinwesens müssen in der Forschungspolitik weitaus stärker zur Geltung kommen. Dem steht der Trend entgegen, staatliche Forschungsförderung zunehmend auf die Vermarktungsinteressen der Wirtschaft zu konzentrieren, die Haushaltsfinanzierung der Forschung überhaupt zurückzufahren, der Einwerbung von Drittmitteln ein immer größeres Gewicht beizumessen und dabei den Akzent in wachsendem Maße auf die nachfrageorientierte Drittmittelvergabe zu legen, bei der nicht der Forscher, sondern der Finanzier die zu bearbeitende Thematik bestimmt. Mit dieser Entwicklung ist die Gefahr einer pragmatischen Aufsplitterung der Forschung durch ihre Bindung an heterogene Nutzerinteressen und eines langfristigen Verlustes der Fähigkeit verbunden, durch konzentrierte Arbeit an großen Erkenntnisproblemen unerwartete paradigmatische Durchbrüche zu erreichen. Es ist notwendig, diesen Trend umzukehren. Von der staatlichen Forschungspolitik ist insbesondere zu erwarten, daß sie jene für das Gemeinwesen lebenswichtigen Forschungsrichtungen, die durch die Mechanismen der Marktnachfrage nicht ausreichend stimuliert werden, mit Nachdruck fördert. Es wäre sinnvoll, die im Abschnitt II, 2 angedeuteten Prioritätsrichtungen einer sozial verantwortlichen Wissenschaftsorientierung (Leistungen für die nachhaltige Stabilisierung und Regulierung der Wechselbeziehungen von Gesellschaft und Umwelt; Leistungen für die Zurückdrängung der Arbeitslosigkeit und die Gestaltung einer gerechteren Wirtschafts- und Sozialordnung; Leistungen für die Erweiterung der Möglichkeiten demokratischer Partizipation) durch Kataloge von mit öffentlichen Mitteln besonders zu fördernden Forschungsschwerpunkten zu untersetzen. Solche Kataloge können nur aus gründlichen Analysen der gegenwärtigen Forschungssituation in Deutschland und aus Diskussionen zwischen Experten und Vertretern der interessierten Öffentlichkeit hervorgehen. Ihre Erarbeitung ist selbst eine hochrangige wissenschaftliche Aufgabe, deren Lösung die Möglichkeit bieten könnte, die Prioritätenliste der staatlichen Forschungspolitik mit fundierten Forderungen nach Veränderungen zu konfrontieren.

Forschung benötigt sowohl Langzeitstabilität als auch Flexibilität ihrer Organisation. Beiden komplementären Anforderungen wird das gegenwärtige Organisationssystem der Forschung in Deutschland nur unzureichend gerecht. Die Forderung nach Langzeitstabilität wird vor allem haushalts- und personalpolitisch, die Forderung nach Flexibilität vor allem institutionell konterkariert. Wirkliche Exzellenz in der Forschung ist in der Regel nur durch das Ausreifen von Traditionen und den - oft über mehrere Generationen hinweg verlaufenden - Aufbau von Zentren wissenschaftlicher Hochkultur zu erzielen. Dazu bedarf es für die Forschung weitgehender Finanzierungssicherheit auf lange Zeiträume und für die Forscher der materiell garantierten Möglichkeit, langfristige Programme - im Grenzfall mit Lebenszeitperspektive - kontinuierlich zu verfolgen und entsprechende Kompetenzprofile auszuprägen. Die sich immer mehr ausbreitende Praxis von Kurzzeitverträgen statt unbefristeten Anstellungen in der Forschung ist aus dieser Sicht kontraproduktiv und dringend revisionsbedürftig. So begrüßenswert der Erwerb einer Vielzahl von Kompetenzen im Verlauf eines Wissenschaftlerlebens ist, so wesentlich ist es, daß sich das Bedürfnis nach Kompetenzerweiterung und Umorientierung organisch aus dem Verfolgen anspruchsvoller Forschungsprogramme ergibt, während der Zwang, zur bloßen Sicherung der Existenz immer wieder nach neuen finanzierten Projekten ohne Rücksicht auf deren inhaltlichen Zusammenhang suchen zu müssen, die Ausbildung komplexer Profile eher behindert. Das Erzielen von Flexibilität durch unkompliziertes Zusammenführen unterschiedlicher Kompetenzen wird hingegen durch Züge von bürokratischer Starrheit und Saturiertheit in der Organisation des Wissenschaftsbetriebes beeinträchtigt. Ein für die Forschungsorganisation besonders kritischer Zug in der gegenwärtigen Institutionalgestalt der Wissenschaft ist die Herrschaft des Ordinarienprinzips an den Universitäten, die etablierte Disziplinen privilegiert, die Chancen neuer, noch nicht anerkannter Richtungen herabsetzt und die Herstellung unkonventioneller multidisziplinärer Zusammenschlüsse erschwert. Erforderlich ist eine umfassende Reform des institutionellen Gefüges, die sich nicht auf punktuelle Maßnahmen beschränkt und sowohl die Stabilitäts- als auch die Flexibilitätseigenschaften des Forschungssystems verbessert. Die wesentlichen Richtungen praktischer Wirksamkeit, die aus wissenschaftlicher Forschung herauswachsen, müssen in einem intensiven Diskurs von Wissenschaftlergemeinschaft und demokratischer Öffentlichkeit entwickelt werden, um Chancen und Risiken frühzeitig zu erkennen und Weichenstellungen bei Alternativentscheidungen öffentlich beeinflussen zu können. Dabei geht es um die stets schwierige Balance zwischen Souveränität der Forschung und demokratischer Kontrolle ihrer gesellschaftlichen Auswirkungen, die keine einseitigen Lösungen duldet. Wissenschaftliche Forschung bedarf angesichts ihrer vielschichtigen, tiefgreifenden und zum großen Teil verborgenen sozialen Implikationen einer ständigen öffentlichen Bewertung, zu deren sachlichem und konstruktivem Verlauf die Forscher selbst wesentlich beitragen können, indem sie versuchen, sich gegenüber ihren Arbeitsgebieten nicht als Nurspezialisten zu verhalten, sondern die soziale Bedeutung von Frontbereichen der Forschung für eine breite Öffentlichkeit aufzuschließen. Es muß möglich sein, praktische Anwendungsgebiete der Wissenschaft, deren Risiken im Vergleich zu ihrem Nutzen zu groß werden oder für das Gemeinwesen generell nicht tolerierbar sind, zu stoppen und zurückzunehmen. Demokratische Bewegungen und kritisch-alternative Richtungen in der Wissenschaft können einen wichtigen Beitrag dazu leisten, solche Gefahren zu erkennen und die Öffentlichkeit ihnen gegenüber zu sensibilisieren. Sehr wesentlich ist es, bestimmte Anwendungsrichtungen (die sich beispielsweise in technischen Prestigeprojekten manifestieren) nicht als alternativlos hinzustellen, sondern auch alternative Zukunftsmodelle auszuloten und Gegenentwürfe verantwortlich zu prüfen. Ebenso muß es möglich sein, solche Forschungs- und Anwendungsgebiete, die besonderes öffentliches Interesse finden, mit konzentriertem Mittel- und Kräfteeinsatz zu fördern und auf die Herausbildung innovativer Regionen hinzuwirken, in denen Hochleistungsnetzwerke aus wissenschaftlichen Einrichtungen, Wirtschaftsunternehmen und anderen Institutionen entstehen und auf neuen Tätigkeitsfeldern Arbeitsplätze in Größenordnungen geschaffen werden. Solche Regionen, die von den kulturellen Kontexten und Traditionen abhängig und insofern standorttreu sind, können als progressive Form der Lösung wirtschaftlicher Standortprobleme und zugleich als Zentren des internationalen Austausches wirksam werden. Von großer Zukunftsbedeutung ist es, die soziale Basis der Forschungsaktivitäten zu erweitern und allen Personen, die über Kompetenz und Neigung verfügen, Wege zur Teilnahme an Forschungsarbeiten zu erschließen. Dazu gehört insbesondere, die Tätigkeitsprofile von Praktikern mit wissenschaftlicher Kompetenz (in der Wirtschaft, im Bildungswesen, in Verwaltungen usw.) so zu gestalten, daß sie die Möglichkeit haben, einen gewissen Teil ihrer Zeit der Teilnahme an Forschungsvorhaben zu widmen und dazu die spezifischen Erfahrungen ihrer beruflichen Arbeitsfelder einzubringen. Ferner gehört dazu, das traditionelle Prinzip der Einheit von Forschung und Lehre an wissenschaftlichen Lehranstalten von der Universität bis zur Fachhochschule strikt zu respektieren, Lehrüberlastung abzubauen und jedem dort tätigen Wissenschaftler originäre Beiträge zur Forschung zu ermöglichen. Dieser Weg ist angesichts der verfügbaren Menge wissenschaftlich qualifizierten Personals prinzipiell gangbar und müßte rechtlich und organisatorisch in geeigneten Formen ausgestaltet werden. Er dient dazu, das Erkenntnisvermögen der Bevölkerung im Interesse eines innovationsabhängigen Gemeinwesens wesentlich stärker als bisher auszuschöpfen, und wirkt auch auf den Qualifikations- und Kreativitätsstandard der wissenschaftlich-praktischen Tätigkeiten positiv zurück.

IV. Hochschulpolitische Grundsätze

Universitäten und Hochschulen als höchste Bildungsstätten des Landes sind zugleich wissenschaftliche Einrichtungen; Hochschullehre und Hochschulstudium zeichnen sich durch ihre Verbindung zur Forschung aus, weite Bereiche der Forschung - zumal jene, die an den Hochschulen bevorzugt gepflegt werden - ziehen aus ihrer Nähe zur Lehre Nutzen. Die zentrale, zukunftsbestimmende Aufgabe des Hochschulwesens besteht in der erweiterten Reproduktion des kreativen Potentials der Gesellschaft. Die Erfüllung dieser Aufgabe auch nur auf dem gegenwärtigen Niveau wird in der Bundesrepublik Deutschland jedoch zunehmend durch Folgewirkungen finanzieller Restriktionen beeinträchtigt; erst recht werden quantitative Steigerung und qualitative Höherentwicklung des Leistungsvermögens der Universitäten und der Hochschulen, die für das Bestehen in der Welt von morgen unerläßlich sind, durch die Verschlechterung der Existenzbedingungen des Hochschulwesens blockiert. Die notwendige hochschulpolitische Alternative muß davon ausgehen, daß das kreative Potential die einzige praktisch unerschöpfliche Ressource ist, über die das Land verfügt. Sie muß ferner in Betracht ziehen, daß die erweiterte Reproduktion dieses Potentials den einzigen gesellschaftlichen Entwicklungsfaktor darstellt, über den unter Bedingungen fortschreitender Globalisierung noch weitgehend souverän im nationalstaatlichen Rahmen disponiert werden kann. Die Ansicht, daß das Aufgabenfeld der Universitäten und Hochschulen tendenziell größer wird, stützt sich auf die Wahrnehmung mehrerer miteinander verbundener Trends. Erstens wächst tendenziell das Niveau wissenschaftlicher Kreativität, das in den verschiedensten Lebensbereichen aufgeboten werden muß, um für die dort zu bewältigenden praktischen Probleme angemessene Lösungen zu finden. Zweitens wird infolge des raschen technologischen Wandels und der damit einhergehenden Dynamik der Tätigkeitsinhalte die traditionelle Teilung des Lebenslaufes in Lernphase und Ausübungsphase immer weiter aufgelöst, so daß vom Hochschulwesen neben der Sicherstellung des Primärstudiums zusätzlich in immer größerem Umfang Weiterbildungsleistungen verlangt werden; dieser Trend wird sich fortsetzen. Drittens schließlich werden die auf den verschiedenen Ebenen des Staatswesens von Legislative und Exekutive zu treffenden und umzusetzenden Entscheidungen in der Tendenz komplexer und komplizierter und bauen zunehmend auf wissenschaftlichen Vorleistungen auf. Daher fordert es in wachsendem Maße wissenschaftlich fundierte Sachkenntnis und wissenschaftlich geprägtes Denkvermögen, solche Entscheidungen kritisch nachzuvollziehen und ihnen gegebenenfalls begründet zu widersprechen - also als mündiger Bürger in einem demokratischen Gemeinwesen zu handeln.

Aus der Sicht dieser Langzeittrends ist vom Hochschulwesen zu erwarten, daß es erstens seine Fähigkeit zur Aufnahme von Studenten weiter steigert, daß es zweitens unter Berücksichtigung mannigfacher Weiterbildungsanforderungen seine Lehrangebote erweitert und noch stärker diversifiziert und daß es drittens die Intensität und kreativitätsbildende Wirksamkeit des Studiums bedeutend erhöht. Die Einsicht in diese Erfordernisse wird heute dadurch verstellt, daß der Weg zum Studium vielfach als ein Ausweg aus der sonst drohenden Jugendarbeitslosigkeit erscheint und daß andererseits auch die Akademikerarbeitslosigkeit steigt und zunehmende Schwierigkeiten bei der Vermittlung von Hochschulabsolventen in qualifikationsgerechte Berufe auftreten. Diese Phänomene zeigen Defizite der bestehenden Ordnung und damit die Notwendigkeit ihrer Reform an, ändern aber nichts daran, daß der wirkliche Bedarf des Gemeinwesens an wissenschaftlichem Leistungsvermögen nicht sinkt, sondern zunimmt und in der Perspektive weiter zunehmen wird.

Daher muß die Einsicht durchgesetzt werden, daß das Hochschulwesen kein Feld ist, an dem gespart werden darf. Leistungsabfall statt Leistungssteigerung in diesem Bereich bewirkt, daß sich die Schwierigkeiten, denen der Staat heute durch Einsparungen auszuweichen sucht, in naher Zukunft potenzieren werden. Im Übergang zur Informationsgesellschaft führt kein Weg an der Erweiterung des kreativen Potentials vorbei. Entschieden sind Tendenzen abzulehnen, die auf die schleichende Einführung eines Zwei-Klassen-Studiums hinauslaufen, das für eine sozial privilegierte Minderheit ein eigentlich wissenschaftliches Studium auf modernstem Niveau, für die Mehrheit aber lediglich ein konfektioniertes Massenstudium ermöglicht. Dies mag aus der Sicht fortdauernder Herrschaftssicherung einer Machtelite plausibel erscheinen - der Zuwachs an kreativem Potential, den ein modernes Gemeinwesen tatsächlich benötigt, kommt auf diesem konservativen Weg nicht zustande.

Der freie, allein von Begabung und Interesse, nicht aber von finanziellen Konditionen abhängige Zugang zur Hochschulbildung ist eine der größten sozialen Errungenschaften dieses Jahrhunderts. Er darf nicht (wie es durch teilweise rigide Kürzungen der Anzahl finanzierter Studienplätze geschieht) eingeschränkt, sondern muß im Gegenteil weiter ausgebaut werden - durch Kapazitätserweiterungen, die die heutigen NC-Fächer allmählich zu öffnen gestatten, durch vielfältige Maßnahmen zur Senkung spezifischer Eintrittsschwellen (Einrichtung behindertengerechter Studienplätze, Vorbereitungskurse für Ausländer usw.) und weitere Vorkehrungen. Der unbehinderte Zugang muß durch die Möglichkeit ergänzt werden, ohne Existenzsorgen studieren und sich voll auf das Studium konzentrieren zu können. Studienverlängerungen, die allein durch die Notwendigkeit des Geldverdienens erzwungen werden, sind sowohl für den Studenten als auch für die Hochschule unproduktiv. Versuche, die Verpflichtungen des Staates zum Unterhalt des Hochschulwesens durch Studiengebühren, Refinanzierungsauflagen an Absolventen und andere rein fiskalische, nicht mit der Qualität der wissenschaftlichen Arbeit verbundene Maßnahmen herabzusetzen, sind kritisch zu beurteilen. Es ist Pflicht des Gemeinwesens, für die laufende Erneuerung seines Kreativitätspotentials Sorge zu tragen und die Refinanzierung dadurch zu gewährleisten, daß das so entstandene Potential nicht partiell brachgelegt, sondern umfassend produktiv genutzt wird.

Das Hochschulstudium, das sich von allen anderen Formen der Bildung paradigmatisch durch seinen Forschungsbezug unterscheidet, muß diesem bereits in der Humboldtschen Universitätsidee ausgedrückten Ideal entschieden nähergebracht werden und in allen seinen Formen Heranführung an die Forschungsarbeit und eine dem jeweiligen Ausbildungsstand entsprechende Einbeziehung in Forschungsvorhaben ermöglichen. Das ist ausdrücklich auch für das Fachhochschulstudium zu fordern, das sich vom universitären Studium nicht durch das Fehlen eines Forschungsbezuges unterscheiden darf. Mit Recht wird der Standpunkt vertreten, daß an einer modernen Hochschule der Student die Möglichkeit haben muß, sein Studium eigenständig und souverän zu gestalten. Diese Eigenaktivität wird entscheidend durch den Erwerb der Fähigkeit geprägt, an der Lösung von Forschungsproblemen mitzuwirken und schließlich auch selbständig solche Probleme zu finden. Die Organisation des Studiums sollte so gestaltet sein, daß es ohne Schwierigkeiten möglich ist, innerhalb der Regelstudienzeit einen Abschluß zu erreichen; zugleich sollte auch künftig die Regelstudienzeit nicht zum Fetisch gemacht werden - wenn intensive Arbeit an einem wissenschaftlichen Problem den Erwerb weiterer Kenntnisse erfordert, sollte das möglich sein, ohne daß für den Studierenden daraus Nachteile entstehen.

Das größte Hindernis, das der Realisierung des Ideals eines selbstbestimmten, forschungsbezogenen und hochindividualisierten Studiums im Wege steht, ist zweifellos der weit verbreitete Massencharakter des Studienbetriebes. Das Problem besteht nicht in der absoluten Größe der Studentenkontingente in den einzelnen Studiengängen und an den Universitäten und Hochschulen insgesamt, sondern in den relativ zur Studentenzahl zu geringen Ausbildungskapazitäten. Dieses Problem läßt sich durch den massiven Einsatz moderner Kommunikationstechnik zwar entschärfen, aber nicht zufriedenstellend lösen. Eine ausreichende Zahl an Hörsaal-, Labor- und Praktikumsplätzen ist ebenso unentbehrlich wie die individuelle Zuwendung zum einzelnen Studenten, das persönliche Gespräch und die Arbeit in kleinen, unmittelbar von erfahrenen Wissenschaftlern betreuten Gruppen. Ein Investitionsschub ist hier unverzichtbar, unumgänglich ist auch eine Reform der Struktur des Personals an den Hochschulen. Dabei sind intelligente Lösungen gefragt, die den auf diesem Gebiet insgesamt nicht zu vermeidenden Kostenanstieg dämpfen und zugleich in die Studentenausbildung mehr an intellektueller Kapazität einbeziehen, als der Personalbestand der Hochschulen von sich aus zu bieten vermag. Aus der Einbettung der Universitäten und Hochschulen in umfassendere Wissenschaftslandschaften lassen sich auf unkonventionelle Weise Synergie- und Integrationseffekte gewinnen, beispielsweise durch die weitaus stärkere Einbeziehung von Institutionen der außeruniversitären Forschung in die forschungsbezogene Ausbildung der Studenten. Für den kulturellen Rang und die kreativitätsfördernde Potenz des Studiums ist es wesentlich, daß es nicht nur gezielt auf bestimmte Berufe vorbereitet, sondern zugleich eine breite, funktional nicht fixierte Persönlichkeitsbildung als Eigenwert zuläßt und fördert. Elemente eines attraktiven, Problembewußtsein und transdisziplinäre Grenzüberschreitung anregenden Studium generale, eines wissenschaftsethischen Diskurses, einer aufgeschlossenen Beschäftigung mit den globalen Problemen der Gegenwart sollten neben den reinen Fachveranstaltungen im Lehrangebot vielfältig vertreten sein. Das Studium sollte Weltoffenheit, kulturelle Vielfalt und Toleranz fördern. Der Personalbestand der Hochschulen sollte so dimensioniert sein, daß er diese Vielfalt des Angebotes erlaubt. Gerade für diese Komponente des Studiums ist es unerläßlich, häufig Gästen aus anderen Institutionen und anderen Ländern begegnen zu können. Die Sicherstellung eines qualitativ hochwertigen Studiums und der Stellung der Hochschule als eines Zentrums exzellenter Forschung erfordert eine grundlegende Reform der Struktur des wissenschaftlichen Personals. Es muß eine Personalsituation hergestellt werden, die erstens in der forschungsbezogenen Lehre und in der Forschung selbst eine individuelle Zusammenarbeit von Wissenschaftlern und Studenten gestattet und die zweitens jedem an einer Hochschule tätigen Wissenschaftler ermöglicht, sich (nach dem Muster der Forschungsfreisemester für Professoren) zeitweise vollständig auf Forschungsaufgaben zu konzentrieren. Der Stellenschlüssel darf nicht mehr ausschließlich nach den zu erfüllenden Lehraufgaben bestimmt werden. Kernstück der Strukturreform sollte eine langfristige deutliche Aufstockung des Mittelbaus sein; das schließt die Aufgabe ein, an den Fachhochschulen überhaupt erst einmal einen Mittelbau zu schaffen. Das anzustrebende Strukturprinzip wäre anstelle der atomisierenden Zuordnung eines oder weniger Assistenten zu jeweils einem Professor das gegliederte Team, in dem Professoren mit anderen Wissenschaftlern unterschiedlichen Qualifikationsgrades und unterschiedlicher Laufbahnhöhe zusammenzuarbeiten und der vorhandene Stellenpool jeweils dem Institut oder Fachbereich im ganzen zur Verfügung steht und damit flexible Umordnungen erlaubt. Diese Teamstruktur drängt die Dominanz der zentralen Lehrdisziplinen zurück, erleichtert multidisziplinäre Verbünde zu Lehr- und Forschungszwecken und gibt Außenseitergebieten, die noch um ihre Anerkennung ringen, größere Chancen der Erprobung und Durchsetzung. Zweifellos wird die Einrichtung von Sonderforschungsbereichen auch künftig ein probates Mittel sein, um größere Kräfte auf neuartige komplexe Gebiete konzentrieren zu können; aber auch schon die Grundstruktur der Universitäten und Hochschulen sollte durch größere Flexibilität Zusammenschlüsse zur Bearbeitung komplexer Themen, die quer zur langfristig stabilen Gliederung in Lehrdisziplinen liegen, zumindest erleichtern.

Professoren nehmen an Universitäten und Hochschulen eine durch wissenschaftliche Leistung und fachliche Erfahrung herausgehobene Position ein, und auch künftig wird der Rang einer Hochschule wesentlich davon abhängen, inwieweit sie über hervorragende Hochschullehrerpersönlichkeiten verfügt. Es fragt sich jedoch, ob die wissenschaftlich exponierte Stellung der Professoren weiterhin durch den Beamtenstatus unterstrichen werden muß. Der Dualismus von Beamten und Angestellten unter Hochschulwissenschaftlern ist antiquiert; er steht der Idee der wissenschaftlichen Gemeinschaft entgegen, in der der Professor als primus inter pares seine Autorität auf wissenschaftliche Überlegenheit und nicht auf eine privilegierte Rechtsstellung gründet. Das Problem besteht vielmehr darin, auch solchen Wissenschaftlern, die weder Professoren sind noch die Perspektive einer Professur haben, ein gleiches Maß an sozialer Sicherheit für die Ausübung ihres Berufes zu gewähren.

In diesem Zusammenhang ist es notwendig und zeitgemäß, den Begriff des "Mittelbaus" neu zu bestimmen und das traditionelle Verständnis der nichtprofessoralen promovierten Wissenschaftler an einer Hochschule als wissenschaftlicher Nachwuchs für Professorenstellen aufzugeben. Dazu sollte neben den bereits vorhandenen Qualifikationsstellen ein System von Funktionsstellen etabliert werden, in denen promovierte Wissenschaftler als "wissenschaftliche Mitarbeiter" vielfältige Lehr-, Forschungs- und Organisationsaufgaben in Dauerarbeitsverhältnissen erfüllen. Der mit einer erfolgreichen Promotion erbrachte Nachweis wissenschaftlicher Kompetenz und Forschungsfähigkeit sollte den Anspruch auf ununterbrochene Beschäftigung begründen, sei es durch unbefristete Einstellung an einer Institution, sei es in einer institutionell flexiblen Laufbahn, die ohne Unterbrechung durch unterschiedliche Einrichtungen führt. Künftig sollten nur noch Qualifikationsstellen als befristete Arbeitsverhältnisse ausgelegt werden.

Ein hohes Gut und eine wesentliche Erscheinungsform des Prinzips der Wissenschaftsfreiheit ist die Autonomie der Hochschule gegenüber Staat und Wirtschaft, die sich auf die Gestaltung von Lehre und Forschung ebenso wie auf die Verfügung über die ihr zugewiesenen staatlichen Mittel bezieht. Selbstbestimmung der Hochschule und Originalität und Kreativität der an ihr geleisteten wissenschaftlichen Arbeit hängen miteinander zusammen. Ein demokratisches Gemeinwesen kann sich mit einer Erosion der Autonomie seiner Hochschulen, wie sie sich in zunehmenden Eingriffen staatlicher Organe in deren innere Angelegenheiten und in einem zu wachsenden Abhängigkeiten von externen Geldgebern nötigenden Rückgang ihrer Budgets äußert, nicht hinnehmen. Gewiß ist es das Recht der staatlichen Hochschulpolitik, Anliegen des Gemeinwesens an die Hochschulen heranzutragen, doch den Hochschulen muß das Recht der Entscheidung darüber, ob und wie sie solche Anliegen aufnehmen und zu ihrer eigenen Sache machen, unverkürzt erhalten bleiben. Rechtsgrundlage für ein solches Verhältnis zwischen Hochschulwesen und Staat ist der Status der Universitäten und Hochschulen als Körperschaften des öffentlichen Rechts, die im Rahmen der Gesetze ihre Aufgaben in Selbstverwaltung eigenverantwortlich lösen. Gegenwärtig gelten Hochschulen jedoch zugleich als Körperschaften öffentlichen Rechts und als staatliche Einrichtungen; aus dieser Doppelnatur werden weitgehende Eingriffsrechte der staatlichen Exekutivorgane abgeleitet. Demgegenüber sollte im Bundes- wie im Landesrecht festgeschrieben werden, daß Hochschulen allein als Körperschaften öffentlichen Rechts anzusehen sind und die staatliche Kontrolle über die Hochschulen nur auf der Ebene der Rechtsaufsicht erfolgt. Dabei ist es ferner angezeigt, die Regelungsdichte der Hochschulgesetze von Bund und Ländern deutlich zu verringern und den Hochschulen mehr Rechte zur Regelung ihrer Angelegenheiten durch ihre gewählten Organe einzuräumen.

Inneres Fundament der Autonomie ist die demokratische Selbstverwaltung der Hochschulen, an der alle ihre Mitgliedergruppen angemessen teilhaben. Eine entsprechende Novellierung des Hochschulrahmengesetzes sollte die Möglichkeit eröffnen, daß die Hochschulen selbst entscheiden können, wie sie die gleichberechtigte, demokratische Mitbestimmung aller Mitgliedergruppen in den einzelnen Selbstverwaltungsgremien gestalten wollen. Die Vormachtstellung der Ordinarien ist nicht mehr zeitgemäß; an den Entscheidungsprozessen im Kernbereich von Lehre und Forschung einschließlich der Nachwuchsrekrutierung sollten alle Mitglieder der Hochschulen, die eine entsprechende wissenschaftliche Qualifikation nachgewiesen haben, gleichberechtigt beteiligt werden. Auch die Stellung der Verfaßten Studentenschaft innerhalb der akademischen Selbstverwaltung sollte gestärkt werden. Die Selbstverwaltung der Hochschulen ist so zu gestalten, daß sie die Gleichberechtigung der Geschlechter im Wissenschaftsbetrieb und in den wissenschaftlichen Laufbahnen wirksam fördert, um durch die Überwindung patriarchalischer Denk- und Verhaltensweisen, durch spezifische Fördermaßnahmen, durch die Ausgestaltung der Rechte der Frauenbeauftragten usw. in absehbarer Zeit zu erreichen, daß Frauen auf allen Ebenen bis hin zu den Ordinarien etwa die Hälfte des wissenschaftlichen Personalbestandes ausmachen. Universitäten und Hochschulen müssen als kollegial verfaßte funktionstüchtige Ganzheiten erhalten bleiben; es ist zu verhindern, daß sie in weitgehend autonome wissenschaftliche Dienstleistungseinrichtungen unter einem nur noch formalen Dach zerfallen.

Autonomie der Hochschule bedeutet nicht Autarkie und Selbstgenügsamkeit. Sie wird vielmehr ergänzt und gestärkt durch eine vielfältige Integration in eine umfassendere Wissenschaftslandschaft und in das gesellschaftliche Umfeld (Länder, Kommunen, Industrie und Gewerbe, Banken, Dienstleistungseinrichtungen, Arbeitgeberverbände, Gewerkschaften, Umweltorganisationen, Bürgerinitiativen usw.). So gefährlich einseitige Abhängigkeiten - etwa von kapitalstarken Unternehmen - für die Autonomie einer Hochschule werden können, so vorteilhaft ist für diese Autonomie ein plurales Netz von Außenbeziehungen mit Vertretern unterschiedlicher Interessen und Anforderungen, zwischen denen die Hochschule die Balance halten muß. Gremien und ständige Einrichtungen (Kuratorien, Hochschultage, Stiftungen usw.) können dieses Beziehungsgefüge vermitteln und den Handlungsspielraum der Hochschulen erweitern. In diesen Rahmen gehört auch eine gegenseitig vorteilhafte, vertraglich vereinbarte Zusammenarbeit mit der Wirtschaft, die auf der Einsicht beruhen sollte, daß die Förderung von Universitäten und Hochschulen eine auf lange Sicht angelegte Investition ist, die auch wirtschaftliche Früchte trägt.

Moderne Hochschulpolitik sollte die einzelnen Hochschulen nicht isoliert betrachten, sondern auf die Gestaltung integrierter Hochschullandschaften ausgehen, die wiederum in umfassendere Wissenschaftslandschaften eingebettet sind. Das zentrale Problem, an dem sich die Geister scheiden, ist hier die Rollenverteilung und die daraus entspringende Arbeitsteilung zwischen Universitäten und Fachhochschulen als den beiden hauptsächlichen Anstaltstypen, in die das Hochschulwesen gegenwärtig gegliedert ist. Der Tendenz, der kritischen Lage im Hochschulwesen durch Festschreibung eines Niveauunterschiedes zwischen Universitäten als Eliteanstalten und Fachhochschulen als Einrichtungen eines forschungsfernen und lediglich berufsvorbereitenden Massenstudiums Herr zu werden, ist ein Konzept entgegenzusetzen, das das Motto "anders, aber gleichwertig" in vollem Maße ernst nimmt. Beide sollten sich weder im Anspruch an ihre Wissenschaftlichkeit noch im Maß ihres Forschungsbezuges unterscheiden, sondern nur in der Beschaffenheit des an ihnen vertretenen Fächerangebots und in der Art der an ihnen bevorzugten Forschungen. Das Spezifikum der Universität besteht darin, daß an ihnen der klassische Kanon der Grundlagendisziplinen in großer Vollständigkeit vertreten ist und die für sie typischen Forschungsarbeiten vorwiegend Grundlagencharakter tragen; es ist nicht angemessen, wenn zunehmend auch Anstalten mit einem sehr reduzierten Spektrum von Fachgebieten ebenfalls Universitäten heißen. Die Eigenart der Fachhochschulen ist darin zu sehen, daß sie in engem Bezug zu bestimmten Anwendungsgebieten und Berufsprofilen stehen und ihre Forschungskomponente stärker zur angewandten Forschung neigt; möglicherweise ist ihre Struktur auch besser geeignet als die von Universitäten, neuartige, noch nicht etablierte Gebiete auf Probe zu institutionalisieren. Wenn sich die Differenzierung zwischen beiden Hochschultypen in dieser Richtung ausprägt, dann werden Austausch und Zusammenarbeit zwischen ihnen in wachsendem Maße sinnvoll, und auf längere Sicht stellt sich die Frage, ob nicht auch Fachhochschulen das Promotions- und Habilitationsrecht erteilt werden sollte.

V. Gesellschaftliche Umorientierung der Wissenschaft als "organische Wende"

Die PDS strebt die gesellschaftliche Umorientierung der Wissenschaft in der Richtung, die in der vorhergehenden Darstellung angedeutet wurde, nicht auf dem Weg eines rigorosen Strukturbruchs, sondern auf dem Weg einer "organischen Wende" an einer allmählichen Verstärkung der in die gewünschte Richtung weisenden Elemente des Wissenschaftsbetriebes und einer ebenso allmählichen Zurücknahme von zu überwindenden Orientierungen. Für eine solche Strategie sprechen zwei grundsätzliche Argumente. Erstens ist Wissenschaft ein subtiles, in hohem Grade selbstorganisierendes Phänomen, dessen inneres Leben sich einer objektivierenden Erfassung weitgehend entzieht. Rigide Eingriffe von außen führen hier in der Regel zu schwerwiegenden Verwerfungen, zur Blockierung oder zum Verlust wissenschaftlichen Arbeitsvermögens. Dafür sprechen gewichtige Erfahrungen der jüngsten deutschen Geschichte: zuerst die der administrativen Wissenschaftsreformen der DDR; sodann die der Subsumtion des Wissenschaftssystems der DDR unter das der Bundesrepublik, die mit der Lahmlegung und teilweise irreversiblen Zerstörung umfangreicher wissenschaftlicher Kapazitäten verbunden war. Zweitens kann eine generelle soziale Umorientierung der Wissenschaft nur eine schöpferische Leistung der Wissenschaftler selbst sein, die aus der innerwissenschaftlichen Meinungsbildung und aus den Diskursen zwischen Wissenschaft und Öffentlichkeit erwächst und deren schließliches Ergebnis nicht vorweggenommen und vorgegeben werden kann. Eine Partei mit ihrem wissenschaftspolitischen Konzept ist nicht mehr als einer unter vielen korporativen Akteuren der Öffentlichkeit, der seine Vorstellungen in den Diskurs mit den Vertretern der Wissenschaft einbringt. Im Bewußtsein des schöpferischen Charakters einer gesellschaftlichen Neuorientierung der Wissenschaft beschränkt sich die PDS konsequent auf eine grobe Skizze der aus ihrer Sicht wichtigsten sozialen Zukunftsanforderungen an die Wissenschaft, unterbreitet diese dem politisch-wissenschaftlichen Diskurs und hofft, daß sie in den Prozessen der gesellschaftlichen Selbstverständigung der Wissenschaftler rezipiert werden und dort dazu beitragen, konstruktive Zukunftsideen hervorzubringen.


Die Überarbeitung vorliegender Fassung erfolgte durch:
Marion Höppner, Prof. Hubert Laitko, Dr. Gisela Petruschka

An der Ausarbeitung waren beteiligt:
Prof. Rolf Bauermann, Prof. Werner Brahmke, Dr. Hans-Gert Gräbe, Dr. Bruno Hartmann, Prof. Klaus Hoepcke, Dr. Martin Holtzhauer, Prof. Siegfried Kiel, Dr. Klaus Klinzing, Prof. Manfred Nast