(c) H.-G. Gräbe, 11/2005 Quelle: http://www.hg-graebe.de/Texte/Kommentare/UK/181-busch.txt ================================================================ Kommentar zum Text Ulrich Busch: Schlaraffenland - eine linke Utopie? Kritik des Konzepts eines bedingungslosen Grundeinkommens. Utopie Kreativ 181 (2005), 978-991. Es bleibt unklar, ob es generell ein Fehlen entsprechender Konzepte oder nur die spezielle Betrachtungsrichtung des Autors ist, die eine dritte Dimension des Problems "Grundeinkommen" wenig beachtet, wenn es wie hier zwischen "Arbeit" und "Konsum" aufgestellt wird: die Frage, ob es nicht der Arbeitsbegriff selbst ist, der in diesem Spannungsfeld einer Neuadjustierung bedarf. Ob also die Nutzung der "freien Zeit", der "Mußezeit", der "Zeit für höhere Tätigkeiten" nicht eine natürliche Verlängerung des Begriffs der "gesellschaftlich nützlichen Arbeit" ist, in dem allerdings die Eigenbestimmtheit der Zielrichtung dieses Beitrags eine deutlich größere Rolle spielt als im klassischen oder modernen Lohnarbeitsverhältnis. Folgt man dieser Gedankenrichtung und fragt nach der Substanz eines solchen erweiterten Arbeitsbegriffs, dann erscheint sofort der damit verbundene "Gestaltungsanspruch" - der Anspruch, ein Stück Gesellschaft eigenverantwortlich gestalten zu wollen - in seiner doppelten Herausforderung vor dem Einzelnen und der Gesellschaft, einerseits Freiräume für ein solches Gestalten zu schaffen und Ressourcenzugriff zu ermöglichen sowie andererseits diese Freiräume kompetent und verantwortlich auszufüllen. Details hierzu finden sich in (Graebe-01). Eine solche Neuadjustierung hätte eine Reihe von Vorteilen. Einmal würde sie die Trennlinie längs des "Lohnarbeitsbegriffs" - durch Ich-AG's, Kleinstunternehmer, Freelancer etc. längst praktisch ad absurdum geführt - nun auch theoretisch als obsolet markieren. Eine Adjustierung, die in (Moglen-03) konsequent zu Ende gedacht ist: der grundlegende Widerspruch, der diese Gesellschaft auseinandertreibt, ist nicht der zwischen "Bourgeoisie und Proletariat" - wie im "Kommunistischen Manifest" (MEW 4) noch vermutet - sondern der zwischen "Owners and Creators". Dies ist eine kleine und zu Marxens Zeit noch kaum wahrnehmbare Nuance, die erst bei einem Stand der Produktivkräfte ihre Wirkung entfaltet, wo "die Schöpfung des wirklichen Reichtums weniger abhängt von der Arbeitszeit und dem Quantum angewandter Arbeit als von der Macht der Agentien, die während der Arbeitszeit in Bewegung gesetzt werden ... " (MEW 42), dort aber eine solche Dynamik entfaltet, dass "Arbeit" und "Konsum" alter Prägung gar nicht mehr als zwei Seiten des Alltags wahrgenommen werden, sondern zu einem "aktiven Leben" verschmelzen und die Frage, ob "der Modus der Verteilung dem der Produktion folgt" gegenstandslos wird, weil beide in einem einheitlichen Prozess der "Auseinandersetzung des Menschen mit der Natur, die Natur der menschlichen Vergesellschaftung eingeschlossen" aufgehen. "Entwicklung der Arbeit zum ersten Lebensbedürfnis" ist - in einem wirklich emanzipatorischen Sinne - wohl auch nur mit einem solchen Arbeitsbegriff zu denken. Zweitens bekommt die "Nützlichkeit", das Maß, an welchem sich die gesellschaftliche (und heute auch monetäre) Anerkennung der indivduellen Arbeit zu orientieren hat - wenn es denn noch einer solchen Orientierung bedarf; ich gehe davon aus - eine deutlich andere Ausrichtung als auf die Verausgabung einfacher Arbeitskraft, die im Durchschnitt jeder gewöhnliche Mensch, ohne besondere Entwicklung, in seinem leiblichen Organismus besitzt" (MEW 23, S. 59). In einer Gesellschaft, welche sich auf die "Multioptionalität von Zukunft" (Laitko-01) aktiv vorbereitet, zerfällt eine solche Nützlichkeit in potenzielle und handlungsaktive Nützlichkeit. Ersteres wird bestimmt durch das Wissen, die Erfahrung, die in persönlicher Kompetenz akkumulierte Erinnerung, das eigene ICH, das unmittelbare Sein als Faser des Gesellschaftskörper, aus welchem letzterer gewebt ist. Und wenn und so lange Nützlichkeit in Geld umgerechnet wird, ist es nur legitim, diese potenzielle Nützlichkeit der reinen Existenz eines jeden Menschen in einem Existenzgeld, einer Grundsicherung, einem garantierten Grundeinkommen oder wie wir es auch immer nennen wollen, zu manifestieren. Eine Grundsicherung, die viel mit Menschenwürde und Sicherung von Freiräumen im obigen Sinne - als Forderung an Gesellschaft - zu tun hat, und nichts mit der Frage, auch unter heutigen Bedingungen am "Ende der Arbeitsgesellschaft" vielleicht zu einer "gerechteren Verteilung der verfügbaren Arbeitsplätze" (alter fremdbestimmter Prägung) zu kommen. ====================================================== (Busch-05) Ulrich Busch: Schlaraffenland - eine linke Utopie? Kritik des Konzepts eines bedingungslosen Grundeinkommens. Utopie Kreativ 181 (2005), 978-991. http://www.rosalux.de/cms/fileadmin/rls_uploads/pdfs/Utopie_kreativ/181/181Busch.pdf (Graebe-01) Hans-Gert Gräbe: Emanzipatorische Herausforderungen moderner Technologien - 10 Thesen. Version vom Mai 2001. http://www.hg-graebe.de/EigeneTexte/e-thesen2.html (Laitko-01) Hubert Laitko: Bildung als Funktion einer multioptionalen Gesellschaft. Utopie kreativ 127 (2001), 405-415. (Moglen-03) Eben Moglen: The dotCommunist Manifesto. Version vom Januar 2003. http://emoglen.law.columbia.edu/publications/dcm.html deutsche Übersetzung: http://www.bemagazin.de/no10/d/moglen.html Und noch ein Beitrag zum Thema, auf den neulich (2005-09-13) auf der WAK-Liste aufmerksam gemacht wurde: Andreas Exner: Geld für Alle = Alle für Geld? Zur Debatte um das Grundeinkommen. Streifzüge 35 (2005) http://www.streifzuege.org/str_05-33_exner_geld-fuer-alle.html