(c) H.-G. Gräbe, 01/2008 Quelle: http://www.hg-graebe.de/Texte/Kommentare/ND/08-01-06.txt ================================================================ Zum Debattenbeitrag "Maximal das Zehnfache der Wertschöpfung" von Heinz-Josef Bontrup Neues Deutschland, 04.01.2008, S. 14 Im Beitrag, der sich im Übrigen wohltuend von dem des INMS-Kuratoriumsmitglieds und das Hohelied des ungebremst freien Marktes singenden Oswald Metzger abhebt, bleiben dennoch mehr Fragen offen als beantwortet werden. Zuvorderst bleibt der Adressat der in der Überschrift auf die Kurzformel gebrachten Forderung "Maximal das Zehnfache der Wertschöpfung" unklar. Wenn es allein der Leitsatz sein soll, der uns den Weg zu einer gerechten Wirtschaftsordnung weist, so wäre natürlich erst einmal eine *ökonomietheoretische* Fundierung einer solchen Ordnung zu geben. Wie erbärmlich es damit in der Linken und erst recht DER LINKEN ausschaut, hat Michael Brie am 14.11.2007 in Leipzig noch einmal unter Beweis gestellt, siehe dazu meinen Bericht [1]. Insbesondere die Frage "Wie hältst du es mit dem Begriff 'linker Unternehmer'?" wird dabei immer mehr zur Gretchenfrage. Denn für die Verteilungsfrage ist es mitnichten "egal, welche Wertlehre zu Grunde liegt". Es muss schon eine Wertlehre sein, welche die realen Verhältnisse widerspiegelt. Und wenn man die Marxsche nimmt - für einen Linken wie mich trotz allen erforderlichen Korrekturbedarfs noch immer erste Wahl - so sind die folgenden Äußerungen Bontrups schlicht platt: "Was die Kapitaleigner von der arbeitsteilig geschaffenen Wertschöpfung ... erhalten, können die Arbeiter nicht mehr an Lohn bekommen. Auch was Manager und Unternehmer sich an horrenden Einkommen (Unternehmerlohn) für den Einsatz ihrer Arbeitskraft einverleiben, steht den abhängig Beschäftigten ebenfalls nicht mehr als Verteilungsmasse zur Verfügung." Einmal gibt es einen klaren Unterschied zwischen Unternehmer und Manager. Letzterer ist ebenfalls ein "abhängig Beschäftigter" und Bontrup bleibt eine Antwort auf die Frage schuldig, warum die "Managergewerkschaft" beim Aufteilen der "Verteilungsmasse" um so vieles erfolgreicher ist als die Lokführergewerkschaft oder gar die Bahngewerkschaften als Ganzes. Das bleibt in Bontrups Lesart einer Wertlehre vollkommen diffus, wenn es heißt "... basiert auf unternehmerischen Leistungen (Managerleistungen) und der Bereitstellung von Kapital ..." Ist für Bontrup also Manager ein Synonym für Unternehmer? Wenn nein, wo ist der Unterschied? Ist der Unternehmer nicht auf eigene, der Manager aber auf fremde Rechnung tätig? Marx' Auffassung vom Kapitalverhältnis als Raubverhältnis ist hinreichend oft kritisiert worden, sehr fundiert etwa in [2], so dass in der Tat zu fragen ist, ob die Marxsche Wertlehre ohne diese Voraussetzung auskommt, ohne an Aussagekraft zu verlieren. Ein Versuch einer theoretischen Fundierung in dieser Richtung wurde in [3] unternommen. Allerdings ist dort der Unternehmer und nicht der Manager die primäre Quelle wirtschaftlicher Dynamik. Dies ist wohl auch Marx' Ansatz, der zwei Jahre vor seinem Tod in Randglossen zu A. Wagners "Lehrbuch der politischen Ökonomie" unmissverständlich ausführt ... ist in meiner Darstellung in der Tat auch der Kapitalgewinn nicht "nur ein Abzug oder 'Raub' am Arbeiter" [wie Wagner behauptet]. Ich stelle umgekehrt den Kapitalist als notwendigen Funktionär der kapitalistischen Produktion dar und zeige ..., daß er nicht nur "abzieht" oder "raubt", sondern die Produktion des Mehrwerts erzwingt, also das Abzuziehende erst schaffen hilft ... (MEW 19, S. 359) Ob also Bontrup mit seinem Aposteriorisatz (?) Fest steht dabei, dass die Beschäftigten nie den vollen Wert ihrer Arbeit erhalten. Sie bekommen nur die Lohnsumme zugesprochen, obwohl ein Unternehmen erst durch seine Beschäftigten zu einem wertschöpfenden Unternehmen wird, nicht allein einen grundlegenden traditionsmarxistischen Glaubenssatz wiederholt, während selbstverständlich ein "Unternehmen" auch nicht ohne den Einsatz des Unternehmers, ohne seine ganze Tätigkeit, Expertise und Verantwortung, mit welcher er auf dem Warenmarkt alle zu einem Arbeitsprozeß notwendigen Faktoren gekauft hatte, ... mit schlauem Kennerblick die für sein besondres Geschäft ... passenden Produktionsmittel und Arbeitskräfte ausgewählt (MEW 23, S. 199), "wertschöpfendes" sein kann. Dass es sich hierbei um keine Einbahnstraßen handelt, sondern um ein gesellschaftliches *Verhältnis* - und ein dialektisches noch dazu - füge ich im Zeitalter des Niedergangs dialektischen Denkens (im Detail ausgeführt in [4]) sicherheitshalber hinzu. Kurz - eine "'leistungsgerechte Entlohnung' je Beschäftigten innerhalb der Wertschöpfungssumme gibt es nicht", wenn man wie Bontrup auf ein *objektives* Berechnungsverfahren aus ist. Und doch sind die schreienden Missstände, welche jeden Tag passieren und die Bontrup treffend beschreibt, eine "leistungsgerechte Entlohnung innerhalb der Wertschöpfungssumme" - und zwar auf dem Verständnis von Leistung und Gerechtigkeit *dieser* Gesellschaft. Wenn Metzgers Beitrag zu nichts weiter taugt, dies eindrücklich zu demonstrieren taugt er allemal. Eine (ökonomische) Wertlehre kann von gar nichts anderem ausgehen als vom gegebenen gesellschaftlichen Verständnis von Leistung und Gerechtigkeit und dann darstellen, wie genau sich dies in der Verteilung des gesellschaftlichen Gesamtprodukts prozessiert. Fundierte Gesellschaftskritik wird auf einer solchen Wertlehre aufbauen müssen, um dann das gesellschaftliche Verständnis von Leistung und Gerechtigkeit selbst in Frage zu stellen und - wenn es nicht bei der Kritik bleiben soll - Wege zur Veränderung zu finden. [1] Sozialismus und Eigentum. Vortrag und Diskussion mit Prof. Dr. Michael Brie, Bereichsleiter Politikanalyse der Rosa-Luxemburg-Stiftung Berlin am 14.11.2007 in der Rosa-Luxemburg-Stiftung Sachsen. Bericht und Anmerkungen zur Veranstaltung von Hans-Gert Gräbe. http://leipzig.softwiki.de/index.php5/WAK.2007-11-14 [2] Peter Ruben: Was bleibt von Marx' ökonomischer Theorie? In: Die ökonomische Theorie von Marx - was bleibt? Reflexionen nach dem Ende des europäischen Kommunismus. Hg. v. C. Warnke u. G. Huber. Metropolis Verlag, Marburg 1998. S. 13 - 66. http://www.informatik.uni-leipzig.de/~graebe/Texte/Ruben-98.pdf [3] Hans-Gert Gräbe: Arbeitswerttheorie nach Marx - ein dezentraler Ansatz. Neues vom Transformationsproblem. Manuskript, Januar 2008. http://www.hg-graebe.de/EigeneTexte/awt-07.pdf [4] Rainer Thiel: Zur Lehrbarkeit dialektischen Denkens - Chance der Philosophie. Mathematik und Kybernetik helfen. Erweiterte Fassung eines Vortrags in der Leibniz-Sozietät am 8.11.2007. http://www.informatik.uni-leipzig.de/~graebe/Texte/Thiel-07a.pdf