(c) H.-G. Gräbe, 06/2001 Quelle: http://www.hg-graebe.de/Texte/Kommentare/ND/01-06-17.txt ================================================================ Zu den Beiträgen von Oertzen und Klein (ND 16.6.2001) Theoretische linke Diskurse organisieren sich in Deutschland (und Europa) gewöhnlich jenseits von Parteigrenzen um einzelne Zeitschriften, Stiftungen, Verbände oder inzwischen auch Mailinglisten. Die dort stattfindenden Diskussionen sind in den letzten Jahren ganz wesentlich bestimmt vom Versuch, die strukturellen und sozialen Konsequenzen zu prognostizieren, die sich aus modernen technologischen Entwicklungen vor allem im IuK-Bereich ergeben und ergeben können. Die PDS hat ein Problem: Während einzelne ihrer Mitglieder diese Diskurse durchaus interessiert verfolgen oder sich sogar aktiv daran beteiligen, spielen diese Themen im öffentlichen Selbstverständnis, also bei "der Basis", so gut wie keine Rolle. Im jüngst vorgelegten Rechenschaftsbericht des Leipziger Stadtverbandes der PDS etwa kommt das Wort "Programmdebatte" ebenso wenig vor wie im Entwurf der Leitlinien für die weitere Arbeit. Entsprechend sehen die Besucherzahlen bei Veranstaltungen aus, selbst wenn anderenorts hoch geschätzte Personen wie C. Spehr nach Leipzig kommen. Die PDS hat ein weiteres Problem: Während in der breiten Masse der PDS-Mitglieder die linke Diskussion in Deutschland so gut wie nicht zur Kenntnis genommen wird, bezieht sie der "Entwurf 1" (Brie-Brie-Klein) durchaus ein. Entsprechend fiel die Reaktion Linker außerhalb der PDS aus: endlich, zwar nicht perfekt, ein Stück weit auch ignorant, aber ein Hoffnungszeichen für die Öffnung der PDS hin zu diesen Themen. Ich persönlich bin weniger optimistisch, denn so selektiv, wie die Autoren mit innerparteilichen Meinungen umgegangen sind, so selektiv stehen sie auch diesen außerparteilichen Diskursen gegenüber. Die Versuche, sich den Konsequenzen moderner technologischer Entwicklungen zu nähern, sind halbseiden geblieben und entbehren nicht einer gewissen Komik (etwa in der These von der "Klasse der Informationsarbeiter"). Dass selbst in der PDS dazu seit mehreren Jahren durchdachtere Positionen existieren, ist mehrfach zu Protokoll gegeben worden und muss hier nicht vertieft werden. Die PDS hat ein drittes Problem: Die Art und Weise der Einbringung von "Entwurf 1" hat dazu geführt, dass die Auseinandersetzungen um eine Öffnung der PDS hin zum europäischen linken Theoriediskurs nicht weiter geführt werden, sondern im innerparteilichen Taktieren in Vergessenheit zu geraten scheinen. "Entwurf 2" ist in dieser Frage ein deutlicher Schritt zurück zu teilweise wohlfeilen Positionen, wobei selbst sein stärker kapitalismuskritischer Zugang von einer solch fundamentalen Analyse wie im "Manifest gegen die Arbeit" der Krisis-Gruppe meilenweit entfernt ist. Wenigstens die Leipziger Protagonisten dieses Flügels der PDS scheinen an einer Öffnung ihres Diskurses im beschriebenen Sinne auch nicht interessiert zu sein, denn dazu bestand mehrfach Gelegenheit. Umso erfreulicher ist es, dass mit dem "Entwurf 3" von Köhne (PDS-Vorsitzender in Niedersachsen) und Brakebusch nunmehr eine Wortmeldung der Westlinken aus diesen Diskursen auf dem Tisch liegt, die die Basis für einen Brückenschlag bilden kann. Der "Entwurf 3" ist halb so lang wie "Entwurf 1", nimmt ausgewogen zur bisherigen Kritik Stellung, bleibt aber bei der dort vorgegebenen Gliederung (damit den außerhalb der PDS fast als Konsens betrachteten Ansatz unterstreichend, dass sich eine sozialistische Utopie nicht primär aus der Analyse dieser Gesellschaft entwickeln lässt). In der Analyse des "Informationskapitalismus" geht er deutlich über "Entwurf 1" hinaus. Auch die kapitalismuskritischen Ansätze sind verstärkt worden, was die Anschlussfähigkeit zu anderen linken Diskursen deutlich verbessert. Das mag bei den genannten Autoren nicht verwundern, die in verschiedenen linken Diskursen bestens bekannt sind. "Entwurf 3" ist also eine Art erstes "neutrales" Resüme der Programmdiskussion, das Parteivorstand und Programmkommission aus den genannten Gründen kaum zu ziehen in der Lage gewesen wären. Die PDS und besonders ihre Vorstände werden daran zu messen sein, wie sie mit dieser Wortmeldung umgehen.