Wissen in der modernen Gesellschaft

In klassischen Produktionssystemen tritt Wissen meist als "nützliches Wissen" in Erscheinung, das es nur aus einem geeigneten Wissenspool auszuwählen gilt. So heißt es bereits bei Marx: "Was aber von vornherein den schlechtesten Baumeister vor der besten Biene auszeichnet, ist, daß er die Zelle in seinem Kopf gebaut hat, bevor er sie in Wachs baut. Am Ende des Arbeitsprozesses kommt ein Resultat heraus, das beim Beginn desselben schon in der Vorstellung des Arbeiters, also schon ideell vorhanden war." Fragen, wie erstens ein solches Bild der Zelle überhaupt entsteht und zweitens in den Kopf des Baumeisters hinein gelangt, werden bei betriebswirtschaftlichen Betrachtungen weitgehend ausgeblendet.

Moderne Ansätze eines Wissensmanagements mit Data Warehousing und Data Mining gehen nur wenig über dieses Verständnis hinaus, indem sie zwar Fragen der systematischen Erfassung bereits vorhandener Informationen und der Organisation bereits vorhandenen Wissens thematisieren, aber Fragen der Entstehung oder gar der gezielten Beförderung von Bedingungen von Wissensentstehung ebenfalls weitgehend unberücksichtigt lassen. Es ist Aufgabe des "Arbeitnehmers", diese Vernutzungsqualität seiner Arbeitskraft auf der Höhe der Zeit zu halten. Lebenslanges Lernen wird so zu einem zentralen Anliegen einer modernen Gesellschaft hoch stilisiert, ohne entsprechende Strukturen oder Freiräume für entsprechende Aktivitäten in nennenswertem Umfang in den Arbeitsprozess zu integrieren.

In einer Gesellschaft, die sich (auch) als "Wissensgesellschaft" bezeichnet, werden diese Prozesse der Wissensgenerierung und -sozialisation einen deutlich größeren Stellenwert einnehmen müssen. Dabei gilt es zunächst, die sozialen Handlungsrahmen und -spielräume, die sich aus den neuen technischen Möglichkeiten von Computer und Vernetzung ergeben, auszuloten.

Verschiedene Facetten dieser bereits über 40 Jahre andauernden Debatte, die in Ost wie West die stürmische Entwicklung der Computertechnik begleitete, standen am 26.5. im Mittelpunt der Ausführungen unseres Gesprächspartners Prof. Klaus Fuchs-Kittowksi (Berlin).

Als kompetenter, über 40 Jahre in entsprechende Debatten und Aktivitäten involvierter Zeitzeuge zeigte Fuchs-Kittowski in der historischen Dimension dieser Überlegungen auf, dass es eigentlich stets dieselben Ansätze waren, die in Phasen der Euphorie die Debatten beherrschten: Mit dem Computer geht nun alles wie von selbst, zunehmend und perspektivisch vollkommen ohne menschliches Zutun. Arbeiten werden einzig die Maschinen, Automaten, Computer und das anbrechende Zeitalter der menschlichen Freiheit ist vor allem eines der menschlichen Freizeit.

Dieser populäre, in anderen Wissenschaften ebenfalls verbreitete Ansatz der Ersetzung menschlicher Tätigkeiten durch Automaten war mit Georg Klaus prominent auch in der Kybernetikdiskussion der DDR der 60er Jahre vertreten. Fuchs-Kittowski und andere plädierten bereits damals für dessen Erweiterung um eine Ebene der Mensch-Maschine-Interaktion, der sinnvollen Kopplung der spezifischen Fähigkeiten beider, mit der eine höhere Stufe der Automatisierung erreicht werden kann.

Die Debatte um die soziale Einbettung automatisierter Produktionssysteme erlangte in den 70er Jahren mit Joseph Weizenbaum eine neue Dimension, als die stets vorhandene latente Destruktivkraft hochgradig autonomer automatisierter Produktionssysteme immer deutlicher erkannt wurde. Auch für die Beherrschung dieser Destruktivkräfte ist eine enge Mensch-Maschine-Kopplung notwendig, die die Maschine nicht aus ihrem Werkzeugcharakter entlässt.

Heute, im Zeitalter durchgreifender Rationalisierung, in der Automaten zunehmend menschliche Arbeitskraft ersetzen, wird diese Frage nach der Rolle der menschlichen "Denkkraft" im Produktionsprozess für die Ausschöpfung von Potenzen und damit das erzielbare betriebswirtschaftliche Ergebnis immer wichtiger. Noch viel entscheidendere Bedeutung erlangt aber die menschliche "Denkkraft" für die ethischen Dimensionen des Produktionsprozesses - die Einbindung automatisierter Prozesse in sozial und ökologisch nachhaltige Systeme.

In diesem Sinne forderte Fuchs-Kittowski nicht nur dazu auf, die Begriffe Information und Wissen stärker in ihrer sozial konstitutiven Wirkung von Semantik (Bedeutung) und Pragmatik (Handlung) zu erfassen, sondern auch die Informatik als Ganzes viel stärker als Systemwissenschaft zu entwickeln, die IuK-Technologien in der vollen Spannweite von technischen und sozialen Entwicklungen in ihren Möglichkeiten und Realitäten zum Gegenstand hat, statt sie auf das gegenwärtig verbreitete Verständnis der "Wissenschaft von der (syntaktischen) Informationsverarbeitung" zu reduzieren.

Literatur

Hans-Gert Gräbe, Leipzig - 28.5.2001