Wissenschaft zwischen Freizügigkeit und Kommerz

Ein Bericht

Freizügiger Zugang zu wissenschaftlichem Gedankenguts ist eine der Grundsäulen, auf denen unser heutiges Wissenschaftssystem aufbaut. Es ist selbstverständlich, ohne irgend welche Gebühren die Ergebnisse anderer Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zu zitieren, ihre Gedanken aufzunehmen, mit eigenen Überlegungen anzureichern und derartiges Wissen zu denselben Konditionen weiter zu geben. Wissenschaft in diesem Verständnis verhält sich wie eine Familie, die arbeitsteilig und gemeinsam an einem großen "Kuchen" arbeitet, den man - mit großen Worten - als "Wissenspool der Menschheit" bezeichnen kann.

Wie stark wird der Anspruch auf freizügigen Zugang zu diesen Schätzen der Menschheit durch die Forderung nach Durchsetzung marktwirtschaftlicher Prinzipien auch im Wissenschaftsbetrieb gefährdet? Diese Frage stand im Mittelpunkt einer Veranstaltung der Rosa-Luxemburg-Stiftung Sachsen am 15. November 2000. Eingangs erläuterte der Referent, Dr. Hans-Gert Gräbe, Privatdozent am Institut für Informatik der Leipziger Universität, welchen Zwängen "zwischen Freizügigkeit und Kommerz" Wissenschaft heute ausgesetzt ist. Es wurde deutlich, dass eine solche Freizügigkeit Schaden nimmt, wenn mit Patenten und Lizenzen zugleich Mauern errichtet werden, hinter denen entscheidende Teile von Wissen den neugierigen Blicken Außenstehender verborgen bleiben. Kontrovers wurde diskutiert, ob Patente und Lizenzen die Errichtung derartiger Mauern erfordern und wie weit Wissen in der Lage ist, von selbst solche Mauern niederzureißen. Schließlich ist es, im Zeitalter von Kopiergeräten und Computern, für viele eine Selbstverständlichkeit, sich nicht so eng an Copyrightregeln zu halten. Jedenfalls konstatierte der GI-Arbeitskreis "Software-Schutz" im Jahre 1992 mit Blick darauf, dass "in Deutschland mehr als doppelt soviel Computer (Hardware) verkauft wurden wie Programme" das Fehlen eines "entwickelten Rechtsbewußtseins für den Umgang mit Software".

In Zeiten defizitärer Haushalte und zu geringer Ausgaben für Wissenschaft und Bildung wird die Debatte um Freizügigkeit und Kommerz deutlich schärfer. So gibt es inzwischen nicht nur Patente auf technische Erfindungen, sondern auch auf Entdeckungen, etwa im Bereich der Genetik. Die EU führt die Diskussion um die Möglichkeit der Patentierung von Software, die bisher höchstens als ganzes Produkt einer Lizenz unterstellt werden kann. Die Begehrlichkeiten, auf diese Weise fehlende Finanzmittel auszugleichen, sind groß. Andererseits gibt es mit GNU, LINUX und offener Software im Softwarebereich zunehmend erfolgreiche Entwicklungen, die Freizügigkeit als hohes Gut betrachten und diese nicht dem Kommerz opfern wollen. Dieser Tenor bestimmte auch die weitere Diskussion auf der Veranstaltung, die noch viele andere Gründe für die Notwendigkeit auflistete, warum der freizügige Zugang zu wissenschaftlichem Gedankengut als hohes kulturelles Gut unseres Gemeinwesens unbedingt verteidigt werden muss.

Die Veranstaltung war Teil einer ganzen Reihe, in der sich die Rosa-Luxemburg-Stiftung Sachsen unter dem Titel "Mensch, Technik, Bildung im Informationszeitalter" mit sozialkritischen Fragen der Gestaltung der Informationsgesellschaft auseinandersetzt.


16.11.2000 Dr. Hans-Gert Gräbe